... oder so ähnlich ...
Smirt Spionski!
Finsterste Mitternacht. Nur ein kleiner, mutiger Lichtkegel teilt das Dunkel. Inmitten dieses Lichtkegels ein zitterndes Blatt Papier. Und ich. Rund um mich Gespenster. Spione, Agenten, Spitzel, ahnungslose Bespitzelte, Führungsoffiziere.
8. April 2017, 21:58
Spionski heißt mein Drucker, und er ist nicht besonders kooperationswillig. Und dann beschimpfe ich ihn als "spionistischen Schmierfink"! Doch doch, ich weiß, was "Smirt Spionski" heißt, obwohl ich - wie mein Drucker auch - kein Russisch spreche. Aber im Gegensatz zu meinem Drucker kann ich mir Agententhriller anschauen. Und Enthüllungsbücher lesen.
Ich muss zugeben, in meiner belesenen und gebildeten Umgebung bleibe ich mit dieser meiner Vorliebe ziemlich alleine. Mein Mann verweigerte zum Beispiel den Schmöker, den ich in einer Achtel-Nacht verschlungen hatte, in dem ein Top-Agent der Bundeswehr spektakuläre Einsätze in der so genannten Todeszone schildert. Da locken die Herausgeber extra mit den Worten "Ein Tatsachenbericht von höchster politischer Sprengkraft" und es interessiert ihn einfach nicht. Obwohl er selber hochrangiger Offizier bei der Bundeswehr war!
Na gut, ich kann ja verstehen, dass man seine Vergangenheit hinter sich lassen will. Aber so ganz traue ich diesen "... packt aus"-Büchern nicht. Ich halte sie eher für eine ziemlich trickreiche Methode diverser Geheimdienste, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. Von den wahren Operationen abzulenken. Desinformation pur.
Nun bin ich leider in "Gegenwartsgeschichte" nicht bewandert genug, um in diesen Enthüllungsbüchern Fehler aufzudecken oder Lücken zu finden. Nur bei einem einzigen Buch ist mir das bislang gelungen. Keine besondere Sache meinerseits, denn ich muss zugeben: Diese Lücke ist so groß, dass sie bis heute ein Skandal ist! Und ich könnte heute noch vor Wut und Enttäuschung brüllen, wenn ich dieses ansonsten sehr klasse Buch in die Hand nehme: Außen zeigt es neben vielen anderen Hotelaufklebern auch den des Grand Hotels Vienna. Und drinnen?
Keine Spur von Wien! Und dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut, mit diesem "Kaviar und tote Briefkästen" in der Hand auf den Spuren des KGB durch Wien zu strawanzen - das war damals, als ich in jedem nicht geleerten Papierkorb im Stadtpark, in jedem nicht ganz belämmert dreinschauenden In-der-Sonne-Döser und in jeder betont unauffällig Eis schleckenden Spaziergängerin, egal ob sie ein kompliziertes Eistropfenmuster hinter sich ließ oder nicht, Agententätigkeit vermutete. Aus reiner Neugier. Um neben dem kulturellen Topangebot auch diesen Thrill meiner damaligen Lieblingsstadt Wien zu genießen (jetzt wohne ich in einem 21-Häuser-Dorf, das bringt andere Thrills).
Na gut, versuchte ich mich zu trösten, das kann ja nur bedeuten, dass der KGB in Wien noch immer so aktiv ist, dass jeder Hinweis in diesem Reiseführer Agenten und Doppelagenten sowie deren tote Briefkästen in Gefahr bringt. Und außerdem stehen noch so viele andere attraktive Städte drin: Madrid und London und Paris und Rom. Aber immer wenn wir nach Rom düsen, vergesse ich das KGB-Reisebuch. Wird wohl daran liegen, dass Rom andere Attraktionen hat als tote Briefkästen.
Dieses Buch war das letzte Spionage- und Agentenbuch, dem ich eine gewisse Nähe zur Realität zugestanden habe. Bis jetzt. Denn jetzt habe ich den absoluten Wahnsinn in die Finger gekriegt: die Auswertung der Papiere, die der KGB-Archivar Wassili Mitrochin 1992 in den Westen gebracht hat. Das Schwarzbuch des KGB. Zwei Bände. Der eine beschäftigt sich mit dem "Kampf gegen den Westen" in den USA und Europa, der andere dokumentiert "Moskaus Geheimoperationen im Kalten Krieg" in Lateinamerika, Asien, Afrika und dem Nahen Osten.
Beide Bände wirken auf mich wahr. Ich bin kein Historiker, aber die Gänsehaut, die diese beiden Bücher bei mir erzeugen, haben die Qualität einer exzellent gewürzten Fischsuppe: Der erste Löffel schmeckt fade. Der zweite weckt die Ahnung von Gewürzen. Und erst der dritte bringt die reichhaltige Fülle des Gerichts zur Geltung. Bittere Wahrheiten muss man sich halt irgendwie genießbar machen.
Buch-Tipps
Thomas Sanders, "Todeszone. Die spektakulären Operationen einer deutschen Eliteeinheit. Ein Topagent packt aus", Heyne Verlag, ISBN 3453869249
Helen Womack (Hg.), "Kaviar und Tote Briefkästen. Mit dem KGB durch die Metropolen der Welt", List Verlag, ISBN 3471791639
Christopher Andrew, Wassili Mitrochin, "Das Schwarzbuch des KGB. Moskaus Kampf gegen den Westen", Propyläen Verlag, ISBN 3549055889
Christopher Andrew, Wassili Mitrochin, "Das Schwarzbuch des KGB 2. Moskaus Geheimoperationen im Kalten Krieg", Propyläen Verlag, ISBN 3549072910