Die Geschichte der berühmtesten Adresse von Wien

Berggasse 19

Für die - im Ausland - berühmteste Adresse ihrer Stadt interessierten sich die Wiener selbst bisher kaum. Mag sein, dass sich das nun ändert, da Sigmund Freud jetzt zu seinem 150. Geburtstag in allen Medien vertreten ist.

Das Gründerzeit-Haus in der Berggasse 19 - hier lebte und arbeitete Sigmund Freud von 1891 bis 1938 - unterscheidet sich kaum von seinen beiden Nachbarhäusern. Ein ganz normales Mietshaus in einer auch heute noch eher gutbürgerlichen, zentrumsnahen Gegend im 9. Wiener Gemeindebezirk.

Heute Gemeindebau

Das Stiegenhaus ist noch so, wie auf den Fotos von Edmund Engelman, der im April 1938 - kurz vor der Emigration der Familie Freud - eine Fotoserie vom Haus, der Wohnung und der Ordination anfertigte. Und der Kastanienbaum im Hof, auf den Sigmund Freud wohl schon aus seinem Arbeitszimmer-Fenster geblickt haben könnte, blüht alle Jahre wieder. Auch wenn er heute von den nachträglich eingebauten Garagen eingepfercht ist.

In Freuds ehemaliger Ordination befindet sich das Sigmund Freud Museum, in den Privaträumen, wo er mit seiner Frau Martha, seiner Schwägerin Minna Bernays, seinen sechs Kindern und der Haushälterin Paula Fichtl lebte, wo später seine Tochter Anna ebenfalls Patienten empfing, sind Büros, Veranstaltungsräume des Museums und die Bibliothek - eine der umfangreichsten Studienbibliotheken zur Psychoanalyse - untergebracht.

In einigen anderen Wohnungen des Hauses wohnen auch heute noch Mieter. Sie bzw. ihre Vorfahren sind zwischen 1939 und 1947 eingezogen. Das Haus gehört seit 1976 der Gemeinde Wien und ist somit ein Wiener Gemeindebau. Noch 1990 hat eine junge Familie hier eine Wohnung von der Gemeinde Wien bekommen.

Pro Wohnung 200 Quadratmeter

Einer, der als kleiner Bub hier eingezogen ist, ist ein Herr im 2. Stock. Er wohnt am längsten hier, 6 1/2 Jahrzehnte! Sein Vater ist 1939 mit seiner Firma hier eingezogen, er selbst hat bis zu seiner Pensionierung die Firma ebenda weitergeführt und eines seiner Kinder wird nach ihm diese Wohnung bewohnen. Seine Eltern sind eingezogen, als die Freuds bereits emigriert waren und die Amerikanerin, Tiffany-Erbin und Anna-Freud-Freundin Dorothy Burlingham und ihre vier Kinder, die ebenfalls in der Berggasse 19 wohnten, ebenfalls Österreich verlassen hatten. Die Wohnung stand also leer.

Der zehn Jahre alte Bub, der dieser Herr zu jener Zeit war, hat sich damals nur gewundert, dass alle anderen Wohnungen überbelegt waren, dass auf durchschnittlich 200 Quadratmeter sechs bis acht mehrköpfige Familien wohnten. Dass er zwei oder drei Damen aus diesen Wohnungen die Tasche hinaufgetragen hat, dass er diese Damen immer gegrüßt hat, obwohl er eine Hitlerjugend-Uniform trug und die Damen einen gelben Stern, daran kann er sich noch gut erinnern. Dann kann er sich daran erinnern, dass irgendwann die Wohnungen wieder "normal" belegt waren.

Gast beim Herrn Professor

50.000 Menschen pilgern jährlich zur Berggasse 19 - aus vielen verschiedenen Ländern; Psychoanalytiker sind selbstredend dabei, Therapeuten, Studenten, Literaten, Künstler, Touristen. Man läutet an der Tür, tritt in das Vorzimmer des Dr. Freud ein - als wäre man Gast des Herrn Professor. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Die Teilnahme an der Privatsphäre eines berühmten Mannes drängt dabei leicht die Ursachen der Vertreibung in den Hintergrund:

Die Häuser Berggasse 17 und Berggasse 19 gehörten im Jahr 1939 zu den am dichtesten belegten Gebäude der Straße. Allein in Freuds Privatwohnung Berggasse 19 auf Tür 5 waren zwischen 1939 und 1941 siebzehn jüdische Bürger eingewiesen. Keiner von ihnen hat den Holocaust überlebt.

Hör-Tipp
Hörbilder, Samstag, 6. Mai 2006, 9:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Veranstaltungs-Tipp
"Die Couch. Vom Denken im Liegen", 5. Mai bis 5. November 2006, Sigmund Freud Museum,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten ermäßigten Eintritt (20 Prozent).

Links
Sigmund Freud Museum
Freud Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung