Das dänische Sozialmodell
Flexicurity
Dänemark mixt die liberalen Regeln des anglosächsischen mit der sozialen Sicherheit des mittel- und nordeuropäischen Systems, nimmt das Beste von beiden Modellen und baut daraus ein eigenes. Als "Flexicurity" hat es europaweit Aufmerksamkeit geweckt.
8. April 2017, 21:58
Das dänische Sozialmodell gleicht der berühmten Hummel, die nach allen physikalischen Gesetzen nicht fliegen kann. Und sie fliegt doch. Mit extrem hohen Steuern und großem öffentlichen Sektor wäre Dänemark nach aller neoliberaler Logik eigentlich ein sicherer Abstiegskandidat im globalen Wirtschaftswettstreit. Stattdessen bekommen die Dänen Bestnoten von Organisationen wie der OECD oder dem Weltwirtschaftsforum, und wenn Wettbewerbsfähigkeit, Innovationsfreude oder Investitionsklima gemessen werden, liegt Dänemark konsequent auf einem Spitzenplatz.
Dabei hatte man von den Ölkrisen der 1970er bis in die frühen 90er Jahre mit dramatischen Problemen zu kämpfen, damals stieg die Arbeitslosigkeit auf bis zu 12,5 Prozent und der Finanzminister sah sein schwer verschuldetes Land am Rand des Abgrunds. Zähe Reformen haben es wieder ins Gleichgewicht gebracht. Jetzt hat Dänemark seine Auslandsschulden komplett abgebaut, hat Überschuss im Haushalt und eine Arbeitslosigkeit von fünf Prozent, was heutzutage als Vollbeschäftigung gilt. Vor allem die Arbeitsmarktpolitik hat international Vorbildcharakter bekommen.
Mix aus verschiedenen Modellen
Der dänische Ansatz mixt die liberalen Regeln des anglosächsischen mit der sozialen Sicherheit des mittel- und nordeuropäischen Systems, nimmt das Beste von beiden Modellen und baut daraus ein eigenes. Als "Flexicurity" hat es europaweit Aufmerksamkeit geweckt. Flexicurity heißt: flexible Arbeitskraft, gepaart mit hoher Sicherheit.
Der Kündigungsschutz ist seinen Namen nicht wert, heuern und feuern geht blitzschnell. Der Vorteil ist die Flexibilität. Unternehmen können sich den Marktbedingungen anpassen. Ein Fabrikant braucht nicht lange zu kalkulieren, ehe er neue Mitarbeiter einstellt. Dass er weiß, dass er sie rasch wieder loswerden könnte, wenn es wieder bergab gehen sollte, macht ihn geneigter, seine Produktion zu erweitern.
Feinmaschiges Maßnahmennetz
Den Nachteil für die Arbeitnehmer federt einerseits das relativ hohe Arbeitslosengeld ab, andererseits ein feinmaschiges Netz an Maßnamen, das die Betroffenen wieder zurück auf den Arbeitsmarkt bringen soll. Statt Jobsicherheit gibt es also soziale Sicherheit. Das Arbeitslosengeld beträgt theoretisch 90 Prozent des letzten Einkommens, allerdings nur bis zu einer Höchstgrenze von umgerechnet knapp 2000 Euro im Monat.
Bis zu vier Jahre lang können Arbeitslose diese Entschädigung beziehen, ehe sie in die Sozialhilfe zurückgestuft werden. Doch Langzeitarbeitslose sind die kleinste Gruppe in der Statistik, viel häufiger ist das Arbeitslosengeld nur eine Überbrückungshilfe für die Periode zwischen zwei Jobs.
Individuelle Jobpläne
Das Modell, das in den 90er Jahren von passiver Versorgung auf aktive Arbeitssuche und Arbeitsbeschaffung umgepolt wurde, greift. Jeder Arbeitslose hat das Recht auf einen individuellen Jobplan, mit Weiterbildung, Aktivierung, in Ausnahmefällen auch Jobs mit öffentlichem Lohnzuschuss. Er hat aber auch die Pflicht, diesem Plan nachzukommen, sonst droht der Entzug des Arbeitslosengeldes. Jeder Arbeitslose hat seine persönlichen Daten in der Jobbank der Arbeitsvermittlung gespeichert, und er hat ständig nachzusehen, ob es nicht Stellen gibt, die seinen Fähigkeiten entsprechen.
Der Vorteil dieses Modells: Arbeitslosigkeit kann zur Kompetenzerweiterung genützt werden. In den USA, wo es Flexibilität ohne Sicherheit gibt, ist der Arbeitslose gezwungen, auch schlechtere Jobs anzunehmen, um durchzukommen. Da gehen Kompetenzen verloren. In Dänemark kehren entlassene Arbeiter mit besseren Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt zurück.
Finanzierung durch hohe Steuern
Das Modell kostet Geld. Hohe Steuern für seine Finanzierung und ein moderner, gut funktionierender öffentlicher Sektor sind also keine Bedrohung der dänischen Wettbewerbsfähigkeit, sondern in Wirklichkeit die Voraussetzung dafür. Daher fordert auch der rechtsliberale Premier Anders Fogh Rasmussen längst nicht mehr den "Minimalstaat" wie in seinen jungen Jahren als ideologischer Vorreiter. Die Wohlfahrtsreformen, die er nun angekündigt hat, zielen darauf ab, die Menschen länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten, von Systemwende ist keine Rede. Wozu auch, die Hummel hat ja bewiesen, dass sie fliegen kann.
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Diagonal, Samstag, 29. April 2006, 17:05 Uhr
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Österreich 2006 - Flexicurity