Schreiben in Südafrika
So viel zu erzählen!
Die Wunden, die die Apartheid schlug, sind natürlich noch längst nicht verheilt, und dennoch hat das Thema Rassentrennung an Gewicht verloren. Neue Themen bringen LeserInnen und SchriftstellerInnen Südafrikas zum Lachen, Träumen und Nachdenken.
8. April 2017, 21:58
Es ist schon eine zeitlang her, dass die Apartheid zu Ende ging: Am 27. April 1994 wurde das Apartheidregime abgewählt. Das Aufatmen, das durch das Land ging, ist auch in der Literatur zu spüren: Die politischen Themen, die Aufarbeitung der Rassentrennung ist mittlerweile weniger brisant. "Natürlich ist es noch viel zu früh", konstatiert einer der bekanntesten Autoren Südafrikas, André Brink, "um grundsätzliche Aussagen über einen Kurswandel in der Literatur des Landes zu treffen".
Aber der Trend ist offensichtlich: Das Thema "Wie die Weißen mit brutaler Gewalt die Schwarzen unterdrückten" hat an Bedeutung verloren. "Denn das gibt es bei uns nicht mehr", sagt der Autor des Bestsellers "Die Madonna von Excelsior", Zakes Mda. "Es gibt viele schwarze Schufte, und es gibt viele gute Weiße. Wir sind normal geworden, und das Normalwerden schmerzt." So sehr, dass Bücher, die dieses alte Denken widerlegen, mit staatlicher Billigung aus Bibliotheken und Bücherlisten entfernt werden könnten - wäre nicht das demokratische Verständnis schon relativ weit fortgeschritten. Konkreter Fall: Das Bildungsministerium musste 2001 nach heftigen Protesten die Verbannung der Romane "Julies Leute" von Nadine Gordimer und "Schande" von J. M. Coetzee aus der Provinz Gauteng rückgängig machen.
Platz für Magie
Das Bedürfnis, die Geschichte neu zu überdenken, passt gut zu dem Trend, Geschichten aus der "naiven und unverdorbenen" Sicht von Kindern und Jugendlichen zu erzählen, ein Verfahren, das der zu früh verstorbene K Sello Duiker meisterhaft beherrschte. Diese Jugendlichkeit drückt sich auch in der "neuen Sprache" aus, verkürzten, verballhornten Vokabeln, wie sie im Straßenslang unter den Kids gebräuchlich sind, und Formulierungen, wie man sie aus den Standup-Comedys oder den Texten der Hip-Hopper und der Rapper kennt. Tshepo Mogale, von Haus aus Comedian, und der Kinderbuchautor Patrick Cairns haben mit diesem Stil großen Erfolg.
Und: Die Magie hat ihren Platz in den Geschichten zurückerobert: Eine Welt neben oder hinter der Realität ist wieder denkbar, so wie sie im afrikanischen Denken seit jeher verankert ist. Die Ahnen dürfen wieder zu Wort kommen und ihren Senf zu den Handlungen der Menschen abgeben, und Wesen aus einer parallelen Welt, zum Beispiel Baummädchen, können unwürdigen Ehepaaren zu Wohlstand verhelfen - sind es nicht immer die Unwürdigen, die freundliche Wesen ausnutzen und letztendlich vertreiben?
Hauptthema: Aids und seine Folgen
Selbstverständlich findet auch die Auseinandersetzung der Schriftsteller mit der neuen Realität Südafrikas statt: mit der Kriminalität, der Fremdenfeindlichkeit, der Arbeitslosigkeit, mit den Spannungen zwischen den aus dem Exil nach Hause Gekommenen und den Daheimgebliebenen, mit Aids, den Folgen von Aids, den Aids-Waisen und so weiter. "Natürlich gibt es viele Dinge, die falsch laufen in unserer jungen Demokratie", konstatiert der Autor Damon Galgut. "Aber es könnte noch viel schlimmer sein. Wir wurschteln uns so durch, wir befinden uns auf einem holprigen Weg zur Demokratie."
Damon Galgut gilt als einer der wichtigsten Autoren des jungen Südafrikas, manche sehen ihn schon als zweiten Literaturnobelpreisträger seiner Heimat. In seinen spannenden Romanen zeigt er nicht nur die schwärenden Wunden der jungen, neuen Gesellschaft auf, er bezieht mit klaren Worten Stellung: dass die medizinische Versorgung Wunschdenken ist; dass Aids ein bestimmender Wirtschaftsfaktor geworden ist; dass das Schulsystem zum Chaos geworden ist. Er zeigt wachsende Korruption, betrügerische Machenschaften, Verlierer, Betrüger und Gewinner. Und macht klar, dass der Neustart in die neue Form des Zusammenlebens eine große Chance für alle ist, und eine ungeheuerliche Belastung. Das Leben ist nicht mehr so "einfach" wie früher.
Korruption ist im heutigen Südafrika ein Thema, oder anders gesagt: In Südafrika beginnen die Dinge zu laufen wie sonst auch überall: Bauten in Naturschutzgebieten, gekaufte Politiker, gebeugte Gesetzte, in Golfplätze umgewidmetes Ackerland, Strohmänner, Mafiosi, Anlagebetrüger... und dazwischen die schönen Frauen, die sich ihren Platz an der Seite der Reichen und Einflussreichen tapfer er...kämpft haben.
"Im Grunde eine funktionierende Demokratie"
Und doch lässt Galgut Platz für Hoffnung, denn: "Jeder dachte, dass Südafrika in einem Blutbad untergehen würde, als es zum Regierungswechsel kam, und es ist eine Überraschung, ein Wunder, dass das nicht geschehen ist. Natürlich gibt es viele Dinge, die falsch laufen, aber grundsätzlich ist es eine funktionierende Gesellschaft, eine funktionierende Demokratie, und es gibt auch viel, auf das wir stolz sein können."
Nur als Kuriosität am Rande: Jugendlichen soll natürlich auch die jüngere Geschichte des Landes nahe gebracht werden. Und Jugendliche lieben Comics. Was liegt also näher, als die Lebensgeschichte der Symbolfigur Südafrikas, Nelson Mandela, als Comic zu erzählen? Dieser Tage ist der dritte Band der neun "Madiba Legacy Series" auf den Markt gekommen, die Serie könnte also ein Erfolg geworden sein, obwohl Genaueres nicht zu erfahren ist. Nelson Mandela jedenfalls ist zufrieden. "Wirklich berühmt ist man erst, wenn man eine Comicfigur geworden ist", scherzte er anlässlich der Veröffentlichung des ersten Bandes.
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Manfred Loimeier (Hg.), "Yizo Yizo. Stories aus einem neuen Südafrika", Peter Hammer Verlag
Zakes Mda, "Die Madonna von Excelsior", Unionsverlag
J. M. Coetzee, "Schande, Fischer TB
Nadine Gordimer, "July's Leute", Fischer TB
Damon Galgut, "In fremden Räumen", Manhattan Verlag
Damon Galgut, "Die Betrüger", Manhattan Verlag
Damon Galgut, "Der gute Doktor, btb
Die Marabout-Seite - Afrikanische Literatur
Marabout - Nelson Mandela als Comic