100 Jahre nach dem Beben von San Francisco
Ein Riss durch die Welt
Vor 100 Jahren, am 18. April 1906, verwüstete ein verheerendes Erdbeben San Francisco. 1906 war das Katastrophenjahr des vergangenen Jahrhunderts. Simon Winchester zeichnet in seinem neuen Buch die Katastrophe nach.
8. April 2017, 21:58
Zunächst erklang 'ein tiefes, fürchterliches Rumpeln', wie Wachtmeister Cook es nannte, wahrscheinlich der Grund, weshalb er überhaupt aufschaute. Inzwischen war es bereits recht hell, und so konnte er alles deutlich sehen. Der Ozean entließ riesige Wogen in die Straße. Es schien, als sei eine gewaltige Welle von Gebäuden und Straßenpflaster losgebrochen, die nun erbarmungslos auf ihn und all die großen Geschäftshäuser der Innenstadt zurollte. Er berichtete, dass sich die gesamte Fahrbahn wellenförmig bewegte. Für den Wachtmeister und die wenigen anderen Menschen, die zu dieser Stunde schon wach waren und auf der Straße oder am Fenster beobachten konnten, was da vor sich ging, war es eine Szenerie wie in einem Alptraum. (Simon Winchester, "Ein Riss durch die Welt")
Messgeräte im Einsatz
"Es war Bahn brechend in der Wissenschaft", sagt Wolfgang Lenhardt von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), "weil damals bereits Messgeräte weltweit in Einsatz waren, um diese Schwingungen zu beobachten".
Es gibt auch auf der Hohen Warte eine Aufzeichnung von diesem Beben 1906, und mit Hilfe dieser Auswertungen kann man heute auch weitere Forschung betreiben und genauer feststellen, wie stark es war." In der Literatur findet sich die Magnitude 8,3. Die Magnitude beschreibt die Energie, aber nicht das Schadenspotential - das wird durch die Intensität beschrieben.
"Die Magnitude wurde inzwischen revidiert und herabgesetzt auf 7,9. Dafür haben sich Daten gefunden, die darauf hinweisen, dass nicht nur 700 Menschen ums Leben gekommen sind, sondern über 3000. Das Szenario wird immer realistischer", sagt Lenhardt.
Feuersbrunst
Es gab in den vergangenen 100 Jahren vier Erdbeben der Magnitude 9. Das Erdbeben vom 18. April 1906 war das fatalste des 20. Jahrhunderts. Die meisten Schäden entstanden jedoch nicht durch das Beben selbst, sondern durch die Feuersbrunst danach.
Viele Menschen verbrannten in den eingestürzten Häusern, die Wasserleitungen waren geborsten oder nicht zugänglich. Die Stadt zog aus dieser Erfahrung die Lehre: die Wasseranschlüsse müssen seitdem außen an den Häusern angebracht sein.
Katastrophenjahr 1906
1906 ging als Katastrophenjahr in die Geschichte ein: schwere Erdbeben in Ecuador und Kolumbien, auf Taiwan und in Chile. Und am 6. April brach auch noch der Vesuv aus. Das war auch der Grund, weshalb sich Enrico Caruso in San Francisco befand: er wollte auf einer Benefizveranstaltung Geld für die Opfer in Neapel sammeln. 150 Menschen sollen bei dem Vulkanausbruch ums Leben gekommen sein. Caruso überstand das Beben in den USA unverletzt.
Die seither gesammelten Daten belegen eindeutig, dass 1906 tatsächlich eines der schlimmsten Jahre war. Nur zweimal in jenem Jahrhundert ereigneten sich in einem Zwölf-Monats-Zeitraum mehr starke Beben. Und die Erdbeben von 1906 trafen zufällig große Städte und forderten Tausende von Menschenleben und machten jenes Jahr somit zum seismisch fatalsten des zwanzigsten Jahrhunderts. (Simon Winchester, "Ein Riss durch die Welt")
Das Erdbeben entstand entlang einer mehreren hundert Kilometer langen Störungszone, der San Andreas-Verwerfung, entlang derer sich horizontal die Erdkruste gegeneinander verschiebt. 1906 hat es bei dem Beben an einigen Stellen Verschiebungen der Platten bis zu neun Meter gegeben.
Es ist nicht die Frage, ob und wann genau ein großes Erdbeben stattfinden wird. Es wird mit Sicherheit ein Erdbeben geben, und zwar ein schweres, das irgendwo in der Nähe von San Francisco auftreten und vermutlich die San Andreas-Verwerfung oder einen ihrer Ausläufer betreffen und aller Voraussicht nach vor dem Jahr 2032 stattfinden wird. Die einzige wirkliche Unbekannte ist das genaue Datum. (Simon Winchester, "Ein Riss durch die Welt")
Hör-Tipp
Dimensionen, Freitag, 14. April 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipps
Simon Winchester, "Ein Riss durch die Welt. Amerika und das Erdbeben von San Francisco 1906", aus dem Amerikanischen von Harald Stadler. Albrecht Knaus Verlag, ISBN 3813502406
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Christa Hammerl/Wolfang Lenhardt, "Erdbeben in Österreich", Leykam Verlag, ISBN 3701173346
R. Gutdeutsch, Christa Hammerl, I. Mayer, K. Vocelka, "Erdbeben als historisches Ereignis. Die Rekonstruktion des Bebens von 1590 in Niederösterreich", ISBN: 3540180486