Der instabile Andenstaat in der Krise
Ecuador von Armut gezeichnet
Politisches Chaos, Korruption, Bürokratie und eine hohe Staatsverschuldung: So präsentiert sich Ecuador - ein Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung in Armut lebt. Wo liegt die wirtschaftliche Zukunft? Manche hoffen auf die EU, doch Europa ist weit weg.
8. April 2017, 21:58
Stimmen zum geplanten Freihandelsabkommen
Der Andenstaat ist reich an Öl und Bananen, trotzdem ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung arm. Politisch herrscht das Chaos, das Land ist gespalten. Die Regierung will mit den USA ein weitreichendes Freihandelsabkommen abschliessen. Die Indio-Bauern demonstrieren dagegen - sie fürchten um ihre Existenz.
Wo liegt die wirtschaftliche Zukunft des Landes? Manche hoffen auf die EU. Doch Europa ist weit weg, und auch der Handel mit Österreich steckt in den Kinderschuhen. Korruption und Bürokratie behindern Investitionen und Exporte. Und so sind Bananen das Wichtigste, was wir aus Ecuador beziehen.
Die Bananenprovinz Machala
Die Gegend um die Hafenstadt Machala an der Pazifikküste im Süden des Landes wird als Bananenprovinz bezeichnet. Von hier aus kommen vier von zehn Bananen, die der auch insgesamt größte Bananenexporteur der Welt ausführt. Auf dem großen Markt der 200.000 Einwohner zählenden Stadt bieten die Stände alles, was das Herz begehrt: tropische Früchte und frisches Gemüse, Ananas, Papaya, Yucca, Fisch, Shrimps und natürlich - Bananen. Auch Österreich bezieht vom Andenstaat jährlich tausende Tonnen Bananen im Wert von 40 Millionen Euro.
Einen kleinen Beitrag zu dieser Menge, die wir jährlich verspeisen, leistet die Biobäuerin Julia Quesada. Ihr Bauernhof liegt in den Bergen, mitten in einer tropischen Waldlandschaft. 50 Kisten Bananen pro Woche pflückt die 53-jährige Bäuerin gemeinsam mit ihrem Mann und verkauft sie an eine Kleinbauern-Gesellschaft, die sie weiter nach Europa exportiert.. Bei uns im Supermarkt werden sie dann mit dem Fairtrade-Pickerl verkauft, was bedeutet, dass die Bäuerin mehr Geld für ihre Erzeugnisse bekommt. Für Julia und ihre Familie ist der faire Handel ein Segen: "Es ist ein wirklich gerechter Preis; wir wissen, dass wir jeden Tag etwas zu essen haben, weil wir jede Woche das Geld bekommen. Außerdem kann meine jüngste Tochter jetzt aufs Gymnasium gehen - die anderen Kinder konnten nur die Volksschule besuchen.
Kinderarbeit und Arbeitslosigkeit
Von den insgesamt 13 Millionen Einwohnern Ecuadors gehen viele Kinder - vor allem am Land - nur zwei oder drei Jahre in die Schule. Danach müssen sie arbeiten - auf den Plantagen der Großgrundbesitzer oder in der Stadt. Bereits Siebenjährige verdienen mit dem Verkauf von Feuerzeugen und Kaugummi auf der Straße ein paar Cent. Aber nicht nur Kinderarbeit ist ein enormes Problem ...
Die Hälfte der hauptsächlich aus Mestizen und Indios bestehenden Bevölkerung ist nicht ausreichend beschäftigt. Vier von zehn Ecuadorianern gelten als arm. Und zwei Millionen Menschen haben in den letzten Jahren ihr Land verlassen - auf der Suche nach Arbeit. Als illegale Einwanderer gehen sie in die USA oder nach Spanien. Dort erwartet sie ein unsicheres Schicksal - aber wenigstens können sie ein paar Dollar nach Hause schicken.
Für die Familien hat das fatale Folgen, erzählt die Sozialarbeiterin der Bauerngenossenschaft Lupe Cueva: "Viele Mädchen bekommen schon mit zwölf Jahren Kinder - ihre Eltern sind im Ausland; es kümmert sich niemand um sie. Die Mädchen werden einfach bei Tanten oder Großeltern untergebracht, wenn Vater und Mutter weggehen, und dann werden sie schwanger.
Reich an Bodenschätzen
Während einerseits die Mehrheit der Bevölkerung an der Armutsgrenze lebt, verfügt der Andenstaat andererseits über ungeheure Reichtümer. Ecuador vereint auf einer Fläche, die dreimal so groß wie Österreich ist, drei völlig unterschiedliche Naturlandschaften: die fruchtbare Ebene der Pazifikküste, das Anden-Hochland mit seinen Schnee bedeckten Vulkanen und den Regenwald im Amazonas-Becken. Dazu kommt die einzigartige Wunderwelt der Galapagos-Inseln, Riesen-Schildkröten, Leguane und Pinguine - ein Nationalpark als internationales Tourismusziel.
Die Landwirtschaft ist in der Lage das Land zu ernähren. An der Küste und im Hochland gedeihen genug Früchte, Reis, Mais und Getreide. Wirklich reich macht das Land aber zur Zeit der wichtigste Bodenschatz - das Erdöl.
Vom Erdölexport abhängig
Ecuador ist der fünftgrößte Erdölproduzent Lateinamerikas. Die hohen Ölpreise lassen nicht nur die Gewinne der Ölkonzerne in die Höhe schnellen, sondern auch die Exporterlöse. Im Vorjahr hat das Land Erdöl im Wert von sechs Milliarden Dollar exportiert - eine 40-prozentige Steigerung im Vergleich zum Jahr davor.
Der Wermutstropfen: Die Erdölvorräte im Amazonas-Becken dürften nur noch zwei oder drei Jahrzehnte reichen. Derzeit macht der Erdölsektor 60 Prozent der Gesamtexporte aus, Diese Abhängigkeit von einem Produkt bereitet den Ökonomen Kopfzerbrechen. Der leitende Manager der nationalen Exportförderungsorganisation, Francisco Rivadeneira, versucht über das Erdölzeitalter hinauszudenken: "Der Ölpreis ist exzellent. Was wir jetzt tun müssen, ist, die Gelegenheit zu nützen und andere Sektoren der Wirtschaft zu entwickeln - zum Beispiel die Agrarindustrie, den Export von Brokkoli, Spargel oder Fisch.
Ob das gelingt ist fraglich. Laut der Tageszeitung El Comercio hat Ecuador in den vergangenen sechs Jahren rund zehn Milliarden Dollar Einnahmen aus dem Export von Erdöl ohne sichtbare Errungenschaften ausgegeben. Das Parlament hat deswegen ein Gesetz beschlossen, das die ausländischen Ölkonzerne dazu verpflichtet, die Hälfte ihrer saftigen Sondereinkünfte aus dem Ölverkauf an den Staat abzuliefern.
Massive Umweltschäden
Was dieses neue Gesetz jedoch nicht ändern kann, sind die schweren Umweltschäden durch die rücksichtslosen Ölgesellschaften, die die Ölförderung im Amazonas-Becken angerichtet haben. Eine Gruppe von Indios führt derzeit u. a. einen Schadenersatz-Prozess gegen den US-Konzern Chevron. Die Belgierin Nathalie Weemals, eine der zahlreichen Umwelt-Aktivistinnen, beklagt, dass durch die Öl-Abfälle im Norden des Regenwaldes Luft, Boden und daher auch das Grund- und Trinkwasser vergiftet und verseucht sei. Viele würden an Krebs leiden und sterben, Kinder behindert geboren.
Nach den Worten der Umweltschützerin sei nur noch ein Drittel des Regenwaldes in Ecuador völlig unberührt, und der Druck der Ölkonzerne, neue Gebiete auszubeuten, nehme zu. Sie fordert daher einen Stopp für weitere Ölfelder. Auch die OMV hat Ölfelder im Amazonas-Becken besessen, sich aber im vergangenen Herbst dazu entschlossen, sie zu verkaufen. Der Deal ist allerdings noch nicht offiziell abgeschlossen.
US-Freihandelsabkommen vor Abschluss?
Neben der Ausbeutung durch Ölkonzerne bewegt die Bevölkerung in Ecuador zur Zeit auch ein zweites Thema die Gemüter: das geplante Freihandelsabkommen mit den USA. Die jetzige Regierung ist fest entschlossen, dieses Abkommen noch im Mai abzuschließen.
Vor allem die Kleinbauern und besonders die indigenen Bevölkerungsteile fürchten aber, nach der Öffnung der Märkte von Billigimporten aus den USA überschwemmt zu werden. Reis und Mais aus den USA wären dann billiger als die eigenen Produkte, was das Ende der Existenz tausender Kleinbauern bedeuten würde. Regierung und Exportwirtschaft setzen dennoch auf den Freihandel, weil er eigenen Produkten den Zugang zum amerikanischen Markt eröffnen würde. Ob das Abkommen tatsächlich zustande kommt, steht aber noch nicht fest.
Politisches Chaos und Korruption
Die Politik in Ecuador zeigt generell ein chaotisches und zersplittertes Bild. Es gibt viele kleine Parteien. Mehrheitsverhältnisse wechseln häufig. In den letzten acht Jahren haben einander fünf Präsidenten die Klinke im pompösen Präsidentenpalast in die Hand gegeben - drei wurden durch Demonstrationen und Misstrauensvoten gestürzt. Im Herbst wird wieder gewählt. Kaum jemand im Land glaubt, dass ein anderer Präsident oder neue Minister etwas ändern werden.
Ein Hauptproblem bleibt die Korruption. Ecuador gehört weltweit zu den korruptesten Ländern. Diese Tatsache sowie unklare Behördenverfahren behinderten auch weitere österreichische Exporte nach Ecuador, etwa von kleinen und mittleren Unternehmen, sagt der österreichische Handelsdelegierte Andreas Meindl: "Österreich bezieht aus Ecuador Waren im Wert von 43 Millionen Euro - der Großteil davon sind Bananen. Unsere Exporte in den Andenstaat machen aber nur bescheidene zehn Millionen Euro aus - der größte Einzelposten sind Energydrinks".
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 12. Mai 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
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Links
Inwent - dt. Entwicklungshilfeorganisation zu Ecuador
Wikipedia - Ecuador
Amazonwatch - Umweltorganisation
Fairtrade
Wirtschaftskammer
WKO
Global 2000