Unerbittliche Dunkelheit
Was Dunkelheit war
Inka Parei schildert mit höchster Präzision die körperlichen und geistigen Mühen eines sterbenden Mannes, der sein Leben Revue passieren lässt - inklusive Vergangenheitsbewältigung. Die Grenzen von Realität und Einbildung verschwimmen allerdings.
8. April 2017, 21:58
September 1977, Frankfurt, Vorort Rödelsheim: Schauplatz ist ein heruntergekommenes Zinshaus, in dem der Protagonist, ein alter Mann, ans Bett gefesselt seine letzte Nacht erlebt. Er hat das Zinshaus von einem Kriegskameraden mit Namen Müller geerbt, kann sich an ihn aber nicht mehr erinnern, hat aber trotzdem seine Berliner Wohnung aufgegeben, um sein Erbe anzutreten und sich seiner Vergangenheit zu stellen. Die Suche nach der Erkenntnis seines Lebens, die Abrechnung mit der Vergangenheit bestimmten seine letzten Stunden in der Dunkelheit der Nacht.
Die Mühen des Alters
Inka Parei schildert mit höchster Präzision die körperlichen und geistigen Mühen eines alten Menschen. Millimetergenau lotet die Autorin Bewegungen aus, hängt Gedankengängen nach um sich schließlich in ihnen zu verlieren. Ganz im Gegensatz zu ihrem ersten Roman, "Die Schattenboxerin", regiert in "Was Dunkelheit war" die Langsamkeit. Die Beschwerlichkeit jeder noch so kleinen Bewegung wird durch Pareis Empathie nachvollziehbar.
Er tastete sich weiter nach unten, hörte ihre Schritte, die sich langsam entfernten; spürte, wie zwei Sätze immer wieder abwechselnd in ihm hochkamen, sie waren wie zwei unterschiedliche Farben, die sich nicht mischen konnten, oder wie Lichtverhältnisse, die einander ausschlossen, er ist einer von ihnen, ich muss ihn retten.
Frage der Schuld
Die Menschen in dem Haus und in dessen Hinterhof werden zu Projektionsflächen der Vergangenheit des Mannes. Die Grenzen von Realität und Einbildung werden in der Wahrnehmung des Mannes massiv verschoben und so gleiten die Dimensionen ineinander. Vermeintliche Terroristen der RAF werden ebenso auf den Plan gerufen wie die Wehrmacht. Welche Rolle und welche Art der Schuld der alte Mann nun wirklich auf sich geladen hat, wo er Mitläufer war und wo er einfach nur hineingerutscht ist, bleibt durch die Verschiebung von Realität, Traum und Halluzination, unklar.
Bewusst oder unbewusst sanft, vielleicht ein wenig unentschlossen geht Parei mit der Frage der Schuld um, denn Klarheit gibt es auch im Moment der Erkenntnis nicht wirklich.
Die Nacht schien endlos. Der alte Mann fühlte sich hellwach. Er versuchte zu verstehen, was Dunkelheit war, wie unerbittlich und absolut sie war, nichts konnte sie vertreiben. Man konnte immer nur sehr kleine Teile von so einer Dunkelheit erleuchten, jede Lichtquelle war lächerlich im Vergleich zu Sonne.
Unpathetisches Ende
Auch wenn in der Dunkelheit manche Dinge stärker zu erkennen sind, während wiederum andere verschwimmen, die beunruhigenden Zeichen der Verdrängung sind dafür um so deutlicher herauszulesen und werden den Lesern ein wenig zu oft unter die Nase gerieben. Es scheint fast als ob Inka Parei die graduelle Unsicherheit oder Unentschlossenheit im Umgang mit dem Thema damit entschuldigen wolle. Nichtsdestotrotz lässt die Autorin in "Was Dunkelheit war" auf knappen 169 Seiten ein beeindruckendes Psychogramm eines geradezu unpathetisch zu Ende gehenden Lebens entstehen.
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Inka Parei, "Was Dunkelheit war", Schöffling Verlag, ISBN 3895611069