Sind Geschworene Laienrichter oder Kontrollorgane?

Geschworenen-Gerichtsbarkeit

Einst waren die Laienrichter ein wichtiges Korrektiv zur Übermacht der kaiserlichen Justiz. Heute fühlen sich manche als Kontrollorgan der Richter. Diese wiederum halten Geschworene bisweilen für überfordert. Die Reformdebatte ist angelaufen.

Ein Geschworener berichtet

Zahlreiche Rechtsexperten bezeichnen die österreichische Geschworenen-Gerichtsbarkeit als antiquiert und fordern eine Reform. Doch es gibt auch Befürworter, die vor der übergroßen Macht der Berufsrichter warnen und die Laiengerichte als Zeichen der demokratischen Legitimierung und der Volksnähe sehen.

Im stillen Kämmerlein

"Und gell, keine dummen Fragen stellen“, so ein Linzer Richter zu den Geschworenen: "Er ist jeden Morgen vor Beginn der Verhandlung zu uns ins Beratungszimmer gekommen und hat uns genau gesagt, was die jeweiligen Zeugen aussagen würden, worauf wir dabei besonders aufpassen müssten, welche Zeugen besonders wichtig seien und welche wir von vornherein vergessen könnten. Er hat also im Vorhinein den Inhalt der Zeugenaussagen bewertet.“

Diese Aufzeichnungen der Wiener Rechtsanwältin Katharina Rueprecht geben Einblick in eines der Kernprobleme der Geschworenengerichte: die Einflussnahme des Richters.

Dass die Rechtsbelehrung des Richters an die Geschworenen nicht öffentlich, sondern im "stillen Kämmerlein“, also im Beratungszimmer erfolgt, ist nur in Österreich so. Rechtsexperten halten diesen Umstand für bedenklich, da dem Richter im österreichischen Strafsystem sowieso eine bedeutendere Rolle zukommt als etwa im anglo-amerikanischen Raum.

Die Macht des Richters

In Österreich vernimmt der Richter die Zeugen, die Sachverständigen und die Angeklagten. Staatsanwalt und Rechtsanwalt kommt hingegen eine geringere Bedeutung zu:

"Die unbedeutende Rolle des Staatsanwaltes wird auch daraus deutlich erkennbar, dass er den routinemäßigen Prozessablauf in keiner Weise beeinträchtigt, wenn also der Staatsanwalt - was bedauerlicherweise durchaus üblich ist - völlig ohne Kenntnis des Falles und ohne Akt zur Verhandlung erscheint, auf allfällige Fragen des Verteidigers nur mit Achselzucken reagiert, praktisch die gesamte Vertretung der Anklage dem Richter überlässt, und dann im Schlussvortrag lediglich verlauten lässt: 'Ich beantrage wie schriftlich'. Der Richter wird damit de facto zum Ankläger, der Staatsanwalt zum überflüssigen Zuhörer und der Verteidiger notgedrungen zum zahnlosen Bittsteller“. So Rueprecht in ihrer Abhandlung "Die Jury im inquisitorischen Strafprozess“.

In den USA kommt dem Richter hingegen die Rolle eines passiven Zuhörers zu, der die Argumente von beiden Seiten gegeneinander abwägt und hernach seine Entscheidung fällt.

Wie wird man Geschworener?

Strafprozesse, für die eine Strafdrohung bis zu fünf Jahren vorgesehen ist, werden von einem Berufsrichter alleine abgehandelt. Bei einer Strafdrohung von bis zu zehn Jahren tagt ein Schöffengericht. Auch Schöffen sind Laien. Aber sie arbeiten mit den Berufsrichtern während des ganzen Prozesses eng zusammen und fällen alle Entscheidungen gemeinsam. Schöffengerichte werden von zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen abgehalten.

Geschworenengerichte kommen zum Zug, wenn eine Strafdrohung von mehr als zehn Jahren besteht, oder aber, wenn es sich um ein politisches Delikt, etwa um ein Kriegsverbrechen handelt. Die Geschworenen fällen ihr Urteil allein. Sie werden nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und sind zu dieser Aufgabe verpflichtet. Entbunden werden können sie von ihrer Aufgabe nur dann, wenn sie etwa berufliche Verpflichtungen als Entschuldigung anführen. Häufig lassen sich Berufstätige so von ihrer Berufung zum Geschworenen frei stellen. Häufig werden also Arbeitslose oder Pensionisten zu Geschworenen.

Pro und contra Reform

Rechtsexperten monieren vor allem, dass Geschworene für ihr Urteil keine Begründung angeben müssen, weswegen es dem Verteidiger und dem Staatsanwalt hernach schwer fällt, das Urteil zu bekämpfen. Geschworene fällen ihre Urteile auf der Basis von Emotionen; sie können sich oft einem gewissen Druck der öffentlichen Meinung nicht verschließen. Der Richter muss bei der Prozessführung darauf achten, dass die Geschworenen alles verstehen, weswegen solche Verfahren weitaus bürgerfreundlicher sind; dem Verteidiger und dem Staatsanwalt kommt mehr Gewicht zu.

Wenn es sich um komplizierte Rechtsfragen wie Putativnotwehr handelt, sind die Laienrichter jedoch oft überfordert. Im Zuge einer kommenden Reform der Strafprozessordnung gilt es daher einerseits, das Fragerecht nicht mehr so stark dem Richter zuzuordnen. Andererseits plädieren immer mehr Rechtsexperten für eine Reform der Geschworenengerichte. Statt der derzeit üblichen acht Laienrichter sollten in Zukunft so genannte erweiterte Schöffengerichte geschaffen werden, wo zwei Berufsrichter mit fünf Schöffen die Verhandlung gemeinsam führen und ihr Urteil am Ende auch begründen.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 28. Februar 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipps
Astrid Wagner, "Mörder Dichter Frauenheld. Der Fall Jack Unterweger", Militzke Verlag, ISBN 3861896176

Katharina Zara, "Die Geschworene", Verlag CH Beck, ISBN 340649403X

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Katharina Rueprecht