Zur Neurobiologie des Unbewussten

Schlafes Hüter

Sigmund Freud deutete den Traum als Erfüllung eines verdrängten Wunsches aus der Kindheit. Aber gewisse Träume passen nicht in diese Theorie. Die Neurowissenschaften erweitern Freuds Traumkonzept zu einer komplexeren Theorie des Unbewussten.

1985 gelang es Sigmund Freud erstmals, einen eigenen Traum mit der Technik des "freien Assoziierens" zu deuten. Dieser "Traum von Irmas Injektion" ging als Paradetraum in die Geschichte der Psychoanalyse ein.

1899 beendete Freud dann sein nach eigenen Aussagen bedeutendsten Werk: Die Traumdeutung. Eine umfassende Sammlung und Analyse zumeist eigener Träume, mit der die Psychoanalyse die kulturgeschichtliche Weltbühne betrat.

Sigmund Freud läutete mit seiner Traumdeutung die systematische Erforschung des Unbewussten der menschlichen Psyche im 20. Jahrhundert ein. Ein Unternehmen, das am Beginn des 21. Jahrhunderts von den Neurowissenschaftlern weitergeführt wird.

Ein psychisches Phänomen

Freud grenzte sich entschieden gegen die Auffassung ab, Träume seien psychologisch bedeutungslose Vorgänge. Er stellte den Traum nicht als somatisches, sondern als psychisches Phänomen dar.

Unmissverständlich vertrat Freud die Überzeugung, dass immer dann ein Traum gebildet wird, wenn ein verdrängter Triebimpuls aus dem Unbewussten hervorzubrechen droht.

Der Traum als Ersatzhandlung

Im Schlaf melden sich die im Wachleben unterdrückten Triebwünsche, sehr häufig sexueller Natur, in der Gestalt von Träumen. Unverarbeitete Tagesreste äußern sich als nächtliche Wunschbotschaften. Letztlich sind das für Freud immer die "unsterblichen Kinderwünsche". Sie knüpfen an Tagesreste an, und schleichen sich so in den Traum.

Der Traum ist insofern eine Ersatzhandlung, als der unbewusste Wunsch aus der Kindheit nicht in der Wirklichkeit befriedigt werden kann, sondern nur halluzinatorisch, eben im Traum.

Trauminhalt und Traumgedanken

Freud unterscheidet zwischen "manifesten Trauminhalt" und "latenten Traumgedanken", also zwischen erinnerbaren Traumerzählungen und der unbewussten Traumbühne, die der Handlungsschauplatz des eigentlichen Wunsches ist.

Weil der Traum Verdrängtes beinhaltet, muss er sich entstellt zum Ausdruck bringen. Diese Verklausulierung nennt Freud die "Traumarbeit".

Traumarbeit

Wegen des Widerstandes gegen das Bewusstwerden kommt es zur Traumarbeit in Form von Verdichtung, Verschiebung und Symbolisierung: Der Traum produziert "Mischgebilde", er wirft Ideen, Gegenstände, Personen durcheinander, dadurch wird der unbewusste Wunsch kaschiert und kann so die Traumzensur passieren. Jene Instanz die Freud in anderem Zusammenhang das "Über-Ich" nennt.

Sigmund Freud modifizierte seine Traumtheorie später, weil z.B. Angst-, und Alpträume nicht in das Konzept der Wunscherfüllungstheorie zu passen schienen. Gleichwohl blieb Freud seiner Hauptthese treu, dass es in der Regel verdrängte infantile Wünsche sind, die als Motor der Traumbildung wirken.

Die Neurowissenschaften und der Traum

Die Neurowissenschaften konnten die Hirnareale, die beim Träumen aktiviert sind, bereits relativ genau ausfindig machen. Und ihre Kartografierung der nächtlichen Botschaften scheint sich mit Freuds psychologischer Traumtheorie in Beziehung setzen zu lassen. Zudem konnten die Neurobiologen auch die chemischen Botenstoffe eruieren, die im Schlaf eine Rolle spielen.

Die Hirnmechanismen des Träumens scheinen identisch zu sein mit jenen, die die Basisemotionen unterstützen. Was aber steuert diese Basisemotionen? Ein Suchsystem, das sich von der Übergangsregion zwischen Hirnstamm und Vorderhirn zu den limbischen Komponenten der Stirn- und Schläfenlappen erstreckt.

Es ist ein unspezifisches Motivationssystem, das nach "etwas" sucht, um Bedürfnisse zu befriedigen. Das ist zumindest die Meinung des Londoner Neuropsychoanalytiker Mark Solms. Danach scheinen Traumprozesse und motivierte Vorstellungen, die möglicherweise den von Freud beschriebenen "Wünschen" ähneln, miteinander verbunden zu sein.

Hör-Tipp
Dimensionen, Montag, 6. Februar 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
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Links
Sigmund Freud Museum Wien
Freud-Institut
Wiener Psychoanalytische Vereinigung