Wann wird ein Star zum Star?
Die Sternemacher
Um von den Boulevard-Medien als Star entdeckt zu werden, genügt es nicht, ein grandioser Schauspieler zu sein. Man muss so oft zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Kontext erwähnt werden, dass man einfach nicht mehr übersehen werden kann.
8. April 2017, 21:58
A star is born! Nennen wir ihn Jonathan Rhys-Meyers - zuletzt gesehen in "Match Point", einem Film, über den es viel Gutes zu sagen gibt. Viel Gutes gibt es auch über dessen Hauptdarsteller Rhys-Meyers zu sagen. Dennoch fragt man sich, wieso er jetzt plötzlich - oder vielmehr erst jetzt - als Neuentdeckung gehandelt wird. Gut, der Mann hat zwei Nachnamen, von denen mindestens einer eine Zumutung ist. Schwer zu merken, also. Okay, seine letzte Hauptrolle hatte Rhys-Meyers vor zwei Jahren als Chamberlain im mäßig gelungenen Abenteuerfilm "The Emperor's Wife". Nichts, was man sich merken müsste. Außerdem hatte er noch keine Rolle in "Star Wars". Schlecht fürs Star-Image.
Trotz alledem ist es schon erstaunlich, dass es in der Filmkritik aber kaum jemand für wert gefunden hat zu erwähnen, dass der "neu geborene" Star bereits 1997 grandioser Hauptdarsteller im überragenden Film "Velvet Goldmine" war und damit im Grunde alle Voraussetzung für eine Sterngeburt erbracht hat.
Ein Platz im Sternbild
Man sollte den Filmkritikern jedoch keinen Vorwurf machen. Viele sind zu jung, um sich so endlos weit ins vergangene Jahrzehnt zurückzuerinnern. Andere haben nichts übrig für solche Spinnereinen wie eine halbfiktionale Geschichte des Glam-Rock, wie Todd Haynes sie in "Velvet Goldmine" erzählt.
Und überhaupt: Wer zu welchem Zeitpunkt ein Star zu sein hat, bestimmen gar nicht die Filmkritiker. Vielmehr scheint es der Markt zu sein, dieses höhere Wesen, an dessen rationaler Logik zu zweifeln mittlerweile anrüchiger ist als die Existenz Gottes in Frage zu stellen. Nach dieser Logik ist auch Woody Allen plötzlich ein neu geborener Star. Mit "Match Point" hat es der ewige Eigenbrötler und Cineasten-Liebling in seinen alten Tagen tatsächlich noch geschafft, einen Platz auf der Sternkarte der Boulevard-Medien zu bekommen.
Und weil so ein Stern für sich genommen auf dieser Sternkarte nicht viel hermacht, wurden Hauptdarsteller und Hauptdarstellerin gleich mit ins Sternbild aufgenommen. Deswegen ist auch Scarlett Johansson jetzt ein Star. Ihre Glanzrollen in "The Man Who Wasnt There", "Lost in Translation" oder "Girl with a Pearl Earring" waren für die Sternemacher bestenfalls Planetenstaub. Plötzlich aber gehört die talentierte junge Diva zum Sortiment der Boulevardmagazin-Tapeten. Ein Blick auf das Titelblatt einer Zeitschrift wie "tv-media" etwa gibt verlässlich darüber Aufschluss, wann eine Schauspielerin ein Star ist. In seiner jüngsten Ausgabe entdeckt "tv-media" Scarlett Johansson nicht nur als "neuen Superstar", sondern - für die Zeitschrift konsequent leitbildkonform - auch gleich als Blondine mit geräumig ins Bild gesetzter Dekolleté-Landschaft.
Zeitgeistig stumpf
Die Behauptung, dass Magazine wie "tv-media" Stars entdecken würden, ist freilich schon eine allzu großzügige Unterstellung. Hinter dem lautstarken Hecheln der Boulevard-Medien nach Aktualität steckt die Trägheit eines lahmenden alten Straßenköters, dessen Wahrnehmung so stumpf ist, dass er nur mehr auf die penetrantesten Reize reagiert. Bevor solche Medien Talente als Stars "entdecken", müssen deren Name schon gründlich vorabgelutscht sein und irgendwelche Kinokassen schon mit ohrenbetäubendem Lärm geklingelt haben.
Man könnte die Probe aufs Exempel machen und Wetten abschließen, wann Jake Gyllenhaal vom Boulevard als Star entdeckt wird. Wer einen so kauzigen Namen hat, darf freilich nicht erwarten, dass eine erstklassige Darbietung als Hauptdarsteller in einem hervorragenden Film allein für den Star-Status reichen würde. Den Namen Jake Gyllenhaal wird man sich erst merken, wenn "Jarhead" ein Megaseller und sein Regisseur Sam Mendes in der Folge als das momentan größte Regietalent entdeckt wird - vorausgesetzt natürlich, dass die Tattergreise der Academy mitspielen und einen Oscar rausrücken.
A Star is named
In der Astronomie erhalten neu geborene Sterne meistens den Namen ihres Entdeckers. Wenn der schon vergeben ist, wird es der Name der Gattin, der Liebhaberin oder des Lieblingshaustieres. Würde sich diese Praxis im Filmbusiness durchsetzen, ginge es mit den Entdeckungen von Stars vielleicht etwas rascher. Nur wäre der Sternenhimmel dann bald so voll, dass man vor lauter Licht keinen Star mehr sehen würde.
Mehr zu den Golden Globes in Ö1 Inforadio, zu "Match Point" in oe1.ORF.at und zu "Jarhead" in Ö1 Inforadio