Verbrechen aus aller Welt
Die besten Krimis der Saison
Wer gute Lektüre zur Unterhaltung schätzt, landet früher oder später bei Kriminalromanen. Die Ö1 Redakteure Gerhard Moser und Peter Zimmermann haben die Neuerscheinungen der letzten Zeit gelesen und die Besten davon für Sie ausgewählt.
8. April 2017, 21:58
"Ex libris"-Gespräch zum Thema Krimis
Kriminalromane haben sich immer schon großer Beliebtheit erfreut und sind aus der Literatur, sowie Film und Fernsehen nicht wegzudenken. In der "Ex libris"-Gesprächsrunde diskutieren Ö1 Redakteur Gerhard Moser, die Krimiautorin Eva Rossmann, der Essayist und Krimiexperte Franz Schuh und die Buchhändlerin Rotraut Schöberl über die Lust am Verbrechen.
Jerome Charyn, "Marilyn the Wild"
In der Bronx, wo New York City seine dunkelsten Ecken hat, regiert Isaac Sidel, der jüdische Bulle, auf der Seite des Gesetzes. Wobei die Grenze zwischen legal und illegal nicht klar gezogen ist. sein Revier hat er jedenfalls im Griff, was man über seine Tochter Marilyn nicht sagen kann. Deren Verschleiß an Männern ist legendär, das wissen auch Sidels Feinde auszunutzen.
Kinky Friedman, "Greenwich Killing Time"
Zum Wiederlesen: der Auftakt zu Kinky Friedmans Manhattan-Krimi-Serie aus dem Jahr 1986. Kinky, der Großstadtcowboy, muss eine Reihe abstruser Morde im Künstlerbezirk Greenwich Village aufklären. Dabei lernt der Leser vor allem die Bars der Gegend kennen und lernt einen liebenswerten Amateurschnüffler kennen, bei dem es kein Erschrecken ohne Lachen gibt.
Martha Grimes, "Auferstanden von den Toten"
Richard Jury, der melancholische Inspektor, liegt angeschossen im Krankenhaus und erholt sich langsam von den beinahe tödlichen Schüssen, die ein vermeintlich guter Freund auf ihn abgegeben hat. Von seinem besten Freund, Melrose Plant, einem Upperclass-Briten, erfährt er, dass die Tochter seines Chirurgen spurlos verschwunden ist. Vom Krankenbett aus dirigiert Jury seinen Freund Plant durch inoffizielle Ermittlungen, die Abgründe in den besten Familien zu Tage bringen.
Patrick Neate, "Stadt der kleinen Lichter"
Tommy Akhtar ist Privatdetektiv in London. Und muslimischer Herkunft. Er trinkt, flucht und teilt bei Bedarf kräftig aus. Eines Morgens steht eine aufregende, aber nicht sehr feine Lady vor Tommys Tür: Er soll eine verschwundene Freundin ausfindig machen. Die Spur führt in den Untergrund nigerianischer Dealer, russischer Mafiosi und islamischer Fundamentalisten. Und von dort direkt auf die große politische Weltbühne.
Jan Seghers, "Die Braut im Schnee"
Der Frankfurter Kriminalkommissar Robert Marthaler, seit dem gewaltsamen Tod seiner Frau ein Grübler und Einzelgänger, hat es im zweiten Krimi von Jan Seghers mit einem skrupellosen Frauenmörder zu tun. Eine junge Zahnärztin wurde auf bestialische Weise ermordet. Die Aufklärung des Falles wird aber durch eine Reihe unguter Begleitumstände erschwert: Das Büro steht unter Wasser, mit einem jungen Kollegen gibt es Ärger, der Chef macht Druck und Freundin Tereza ist auch verschwunden. Ein Krimi mit viel Lokalkolorit und psychologischer Tiefe.
Qiu Xiaolong, "Schwarz auf Rot"
Der Shanghaier Oberinspektor Chen erhält ein Angebot, dem er nicht widerstehen kann: Für den Großunternehmer Gu soll er die Projektbeschreibung zu einem riesigen Neubaukomplex ins Englische übersetzen. Doch kaum wendet sich Chen dem lukrativen Auftrag zu, geschieht ein Mord. Die Ermordete galt als Dissidentin, die einen zur Landarbeit verbannten Dichter geliebt und nach dessen Tod einen viel beachteten und rasch verbotenen Roman geschrieben hatte. Das bringt Chen auf eine literarische Fährte.
Ludwig Lugmeier, "Der Mann, der aus dem Fenster sprang"
Literarische bekannt geworden ist er Anfang der 1990er Jahre mit einem Roman über seine oberbayrische Heimat ("Wo der Hund begraben ist"). Aktenkundig ist der Schriftsteller und Märchenerzähler Ludwig Lugmeier schon viel früher geworden: mit millionenschweren Raubüberfällen und einem spektakulären Sprung aus dem Fenster des Gerichtssaales, in dem ihm Mitte der 70er Jahre der Prozess gemacht werden sollte. Jetzt hat Lugmeier seine Lebensgeschichte niedergeschrieben - von der Kindheit bis zu den Gefängnisjahren.
Genre: real crime. Prädikat: nicht ganz frei von Heldenverehrung, aber durchaus lesenswert.
Jonathan Nasaw, "Blutdurst"
Dem Kalifornier Jonathan Nasaw verdankt die Krimi-Gemeinde einen der überzeugendsten Psychothriller der vergangenen Jahre: "Angstspiel", die Geschichte eines Serienkillers, der für den ultimativen Kick die Phobien seiner Opfer benutzt. Inzwischen ist Nasaw ein wenig ins Horrorgenre abgeglitten. "Blutdurst" ist eine moderne Vampirgeschichte mit ausreichend blood, sex and crime. Nicht mehr und nicht weniger.
Manuel Vazquez Montalban, "Requiem für einen Genießer"
Der Mann ist eindeutig zu früh von uns gegangen: der spanische Romancier, Essayist und Krimiautor Manuel Vazquez Montalban. 2003 ist er im Alter von 64 Jahren gestorben. Mit dem katalanischen Detektiv und Meisterkoch Pepe Carvalho hat er eine Figur des "private eye" geschaffen, gegen die die diversen "detectives" und "commissarii" einfach alt und dumm aussehen. "Requiem für einen Genießer" ist - wie schon der Titel sagt - das Vermächtnis des Pepe Carvalho.
Genre: kriminalistische Weltreise. Prädikat: ein absolutes Muss für Freunde echter Kriminalliteratur.
Loriano Macchiavelli, "Tödliches Gedenken"
Nicht Venedig, nicht Florenz und nicht Sizilien, sondern Italien, wo es am "italienischsten" ist, ist der Schauplatz von Loriano Macchiavellis Krimis: Bologna, "die fette, die rote Stadt". Commissario Antonio Sarti ist der Held des Geschehens, und was der heute 71-jährige Autor seit Jahrzehnten abliefert, ist solides Krimihandwerk; so auch der jetzt übersetzte Roman "Tödliches Gedenken".
Genre: Italo-Krimi mit stark politischem Einschlag. Prädikat: liebenswert traditionell, aber durchaus spannend und informativ.
Andreas Ulrich, "Das Engelsgesicht"
Dass der Mann, um den es hier geht, noch lebt, ist einzig dem Zeugenschutzprogramm der italienischen Justiz zu verdanken. Giorgio Basiles Verbrecherlaufbahn hat in Deutschland begonnen, in Italien ist er dann mit Mord und Drogenhandel in die höheren Ränge der kalabrischen Mafia, 'Ndrangheta, aufgestiegen. Ende der 1990er Jahre wird er verhaftet und packt aus. Der "Spiegel"-Reporter Andreas Ulrich hat den Kronzeugen interviewt und seine Lebensgeschichte aufgezeichnet.
Genre: real crime. Prädikat: ein höchst lesenswertes Lehrstück über die wahren Machthaber und ihre Handlanger in gar nicht so wenigen italienischen Landstrichen.
Peter-Paul Zahl, "Im Todestrakt"
Ein neuer Jamaica-Krimi aus der Feder des dorthin ausgewanderten ehemaligen "deutschen Staatsfeindes" Peter-Paul Zahl. "Im Todestrakt" wegen Vergewaltigung und Mord sitzt diesmal vermutlich der Falsche. Diesmal geht es nicht um die "Teufelsdroge Cannabis" - wie ein früherer Jamaica-Krimi Zahls hieß -, sondern um Rum, Religion, Spiritualität und das Geschäft mit Glauben und Gläubigen.
Genre: private-eye-Krimi in guter Sjöwall/Wahlöö-Tradition. Prädikat: lehrreich und unterhaltsam. Empfohlen für oder statt eines Jamaica-Urlaubs.
Jilliane Hoffmann, "Morpheus"
Sie war Staatsanwältin in Florida und hat sich vor allem mit Drogenkriminalität und organisiertem Verbrechen befasst. Mit dem Serienkiller-Roman "Cupido" hat sie vor zwei Jahren ein mehr als beachtliches Debüt hingelegt. Der Nachschlag heißt "Morpheus", findet sich ebenfalls in den Bestsellerlisten, und handelt von einem "Cop-Killer" in Florida.
Genre: Serienkiller. Prädikat: leider etwas schwacher Aufguss.
Clare Clark, "Der Vermesser"
London von unten, und das noch dazu Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Held ist ein Ingenieur und Vermesser, der an der Modernisierung des veralteten Abwassersystems mitarbeitet. Ein packender Ausflug in die Unterwelt Londons und in die zerrüttete Psyche einer Romanfigur.
Genre: historischer Roman mit dominant kriminalistischer Note. Prädikat: atmosphärisch dicht und trotz üblen Geruchs ein lang anhaltender (literarischer) Abgang.
Veit Heinichen, "Der Tod wirft lange Schatten"
Der vierte Triest-Krimi des deutschen Ex-Verlegers und Schriftstellers Veit Heinichen. Neben Öko-Fundamentalismus und Waffenschmuggel steht diesmal eine groß angelegte Erpressung des alles andere als astreinen Triestiner Bürgertums am kriminalistischen Speisezettel des höchst sympathischen Commissario Laurenti.
Genre: kriminalistischer Stadt- und Landesführer in bester Sjöwall/Wahlöö-Tradition. Prädikat: unterhaltsam, informativ, gelegentlich überfrachtet.
Buch-Tipps
Jerome Charyn, "Marilyn the Wild", aus dem Amerikanischen übersetzt von Uschi Gnade, Rotbuch Verlag, ISBN 3434540474
Kinky Friedman, "Greenwich Killing Time", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hans-Michael Bock, Rotbuch Verlag, ISBN 343454058X
Martha Grimes, "Auferstanden von den Toten", aus dem Amerikanischen übersetzt von Cornelia C. Walter, Goldmann Verlag, ISBN 3442310067
Patrick Neate, "Stadt der kleinen Lichter", aus dem Englischen übersetzt von Malte Krutzsch, Verlag Rogner und Bernhard bei Zweitausendeins, ISBN 3807710078
Jan Seghers, "Die Braut im Schnee", Wunderlich Verlag, ISBN 3805208081
Qiu Xiaolong, "Schwarz auf Rot. Oberinspektor Chens dritter Fall", aus dem Amerikanischen übersetzt von Susanne Hornfeck, Zsolnay Verlag, ISBN 3552053514
Ludwig Lugmeier, "Der Mann, der aus dem Fenster sprang. Ein Leben zwischen Flucht und Angriff", Verlag Antje Kunstmann, ISBN 3888974011
Jonathan Nasaw, "Blutdurst", aus dem Amerikanischen übersetzt von Uschi Gnade, W. Heyne Verlag, ISBN 3453675010
Manuel Vazquez Montalban, "Requiem für einen Genießer", aus dem Spanischen übersetzt von Luis Ruby u. a., Piper Verlag, ISBN 3492046967
Loriano Macchiavelli, "Tödliches Gedenken", aus dem Italienischen übersetzt von Sylvia Höfer, Piper Verlag, ISBN 3492271049
Andreas Ulrich, "Das Engelsgesicht. Die Geschichte eines Mafia-Killers aus Deutschland", Deutsche Verlagsanstalt, ISBN 3421058997
Peter-Paul Zahl, "Im Todestrakt", "Fischer Taschenbuch Verlag", ISBN 3596164621
Jilliane Hoffmann, "Morpheus", ins Deutsche übersetzt von Sophie Zeitz, Wunderlich Verlag, ISBN 3805207743
Clare Clark, "Der Vermesser", aus dem Englischen übersetzt von Rita Seuß u. a., Verlag Hoffmann und Campe, ISBN 345500864X
Veit Heinichen, "Der Tod wirft lange Schatten", Zsolnay Verlag, ISBN 3552053131