Ein Rad zum Überleben

Ein Leben in Pedalen

Etwa 400.000 Rikschas gibt es in Dhaka. Fahrer gibt es ungefähr doppelt so viele, die zum Tageslohn von etwa 2,50 Euro an die sieben Millionen Fahrgäste, die nur wenige Cents pro Fahrt bezahlen, Tag für Tag durch die Hauptstadt chauffieren.

Es ist eng in Bangladesch, dem am dichtesten besiedelten Land der Welt. Allein im Kern der Hauptstadt Dhaka leben - oder besser überleben - mehr als sechs Millionen Menschen, allein 3,5 Millionen davon in den 4.500 Slums. In der Agglomeration sind es mehr als elf Millionen. Aus einem der umliegenden Dörfer kommt der 40-jährige Mohammad Kolimuddin. Er ist einer von geschätzten 800.000 Rikschafahrern in Dakha, die zum Tageslohn von etwa zweieinhalb Euro an die sieben Millionen Fahrgäste Tag für Tag durch die Hauptstadt chauffieren. Und das seit vielen Jahren.

Von Armut getrieben

Mohammad Kolimuddin hasst Dhaka. Ihn stören die Enge, der Lärm und die schlechte Luft. 18. Jahre war er alt, als er mit dem Rikschafahren anfing. Die blanke Not hat ihn aus seinem Dorf nach Dhaka getrieben. Seine Familie besitzt kein eigenes Ackerland. Wenn sie Land pachtet, muss sie drei Viertel der Ernte an den Grundbesitzer abliefern. Es bleibt zu wenig, um die vier Kinder zu ernähren.

Meistens arbeitet er 20 Tage am Stück, dann fährt er für eine Woche oder zehn Tage in sein Heimatdorf und erholt sich. Seine Frau begleicht die Schulden, die sich mittlerweile angehäuft haben, und wenn das Geld zur Neige geht, macht sich Kolimuddin wieder auf nach Dhaka.

Unter erbarmungswürdigen Bedingungen

In Dhaka schläft Kolimuddin mit drei Kollegen unter einem Moskitonetz, das für eine Person gedacht ist. 90 Männer drängen sich hier in einer Art Garage über den parkenden Rikschas auf einem überdimensionalen Hochbett dicht aneinander, eine wackelige Konstruktion aus Bambusstangen in drei Metern Höhe. Über diesen Bambusstangen liegen Holzbretter; Matratzen gibt es nicht, nur ein Baumwolltuch als Unterlage und im Winter ein zweites Tuch zum Zudecken.

Auf dem Hochbett kann man sich nur gebückt fortbewegen, sonst stößt man an das Wellblechdach. Während des Monsuns prasselt der Regen mit ohrenbetäubendem Lärm auf das Dach, im Sommer staut sich darunter die Hitze und treibt den Fahrern den Schweiß aus den Poren. Das einzig Positive an diesem Schlafplatz ist, dass die Rikschafahrer nichts dafür bezahlen müssen.

Die Ausgaben eines Rikscha-Fahrers

In der Hauptstadt findet man Tausende solcher Rikschagaragen. Sie gehören den Maliks, den Rikscha-Eigentümern. Einige besitzen 30, andere 40, 70 oder 100 Rikschas. Rikschas sind ein gutes Geschäft. Die Fahrer, fast ausschließlich arme Dorfbewohner mit schlechter Schulbildung, müssen sich die Rikscha Schicht für Schicht ausleihen. 40 Taka, umgerechnet 50 Cent, für den halben Tag. Wer den ganzen Tag strampeln will, kann oder muss, zahlt 70 Taka.

Die Kleidung eines Rikschafahrers besteht aus zwei Lendentüchern, den Lungis, und zwei Hemden, die immer abwechselnd gewaschen werden. Um das Essen kümmern sich einige Frauen in der Garage. Mittags und abends kochen sie das Standard-Menü: Gemüse, Linsen und Reis. Mittags gibt es ein Stück Fisch, am Freitag ein Stück Fleisch. Jeder Fahrer zahlt dafür 35 Taka am Tag, 44 Cent. Zum Frühstück kaufen sich die Fahrer an einer der zahlreichen Teebuden Tee, Brot und Bananen.

Kolimuddins Tagesablauf

Jeden Morgen zwischen sechs und sieben Uhr kriecht Kolimuddin unter seinem Moskitonetz hervor, schleicht geduckt an den noch schlafenden Rikscha-Fahrern vorbei und klettert die Leiter hinab. Nach einer Katzenwäsche richtet er sein Hüfttuch gerade, zieht sich ein Hemd an, kämmt sich die schwarzen, glänzenden Haare und schnappt sich mit einem Lobpreis Allahs auf den Lippen seine Rikscha. Er bringt Lehrer und Schüler in adretten Schuluniformen zur Schule, fährt Angestellte in ihre klimatisierten Büros und Hausfrauen zum Markt - ein Zickzack-Kurs quer durch Dhaka. Nachmittags um halb drei kehrt er zur Garage zurück, hungrig und müde. Mit 18 Fahrten hat er 159 Taka verdient, zwei Euro. Er duscht sich, lässt sich sein Mittagessen geben und ruht sich bis 17:00 Uhr aus:

"Die Nachmittagsschicht ist viel weniger anstrengend. Vor allem nach Sonnenuntergang, wenn es kühler wird, fährt es sich viel leichter", sagt er. Die Fahrten dauern oft 25 oder 30 Minuten. Um kurz nach 23:00 Uhr kehrt er in seine Garage zurück. Die Bilanz des Tages: Einnahmen 258 Taka. Davon gehen weg: 70 Taka Tagesmiete für die Rikscha, 35 Taka für zwei warme Mahlzeiten und 32 Taka für Verpflegung unterwegs. Gewinn 121 Taka oder 1,50 Euro.

Totale Ausbeutung und Korruption

Sind es 300.000 oder 400.000? Oder gar eine halbe Million? Niemand hat sie gezählt, und niemand kann sie zählen. Fest steht, dass die Stadtverwaltung von Dhaka nur 79.000 Rikschalizenzen ausgegeben hat - vor vielen Jahren. Seitdem vergibt man keine neuen Lizenzen, was die Preise dafür in die Höhe treibt und der Korruption Tür und Tor öffnet. Die Polizei etwa kann jederzeit willkürlich illegale Rikschas beschlagnahmen. Wenn man dafür 3.000 Taka bezahlt, ist die Sache geregelt, wenn nicht, sind die Rikschas weg. Bis vor wenigen Jahren hat man sie dann als Abschreckungseffekt platt gewalzt. Nun haben die Politiker eine bessere Verwendung gefunden. Sie verschenken die Rikschas an die Armen, in der Hoffnung, bei der nächsten Wahl wiedergewählt zu werden.

Es ist also kein Wunder, dass sich die Fahrer fast nie eine eigene Rikscha kaufen, obwohl sie nur etwa 7.000 Taka kostet und etwa zehn Jahre lang hält. Auch Kolimuddin kauft sich keine; er hält auch nichts davon, sich selbstständig zu machen: "Oft überlege ich mir, ob ich in meinem Dorf ein kleines Geschäft aufmachen sollte. Dafür bräuchte ich 10.000 Taka. Aber ich würde vielleicht nur 50 Taka am Tag verdienen, meine Familie braucht aber 100 Taka am Tag. Also mache ich weiter mit meinem Leben in Pedalen", sagt er resignierend, wäscht sich, isst sein Abendessen, klettert die Leiter hinauf und kriecht unter sein Moskitonetz.

Hör-Tipp
Hörbilder spezial, Donnerstag, 1. November 2007, 9:05 Uhr

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Link
Wikipedia - Dhaka