Ausstellung "Geheimsache Leben"
Schwules und lesbisches Leben in Wien
Das Logo für die Ausstellung "Geheimsache Leben" ist ein Schlüsselloch. Die versperrte Tür verweist auf das Versteckte, auf die Heimlichkeit, und das Schlüsselloch zielt auf die Lust der Außenwelt, in diese verborgenen Räume hineinzuschauen.
8. April 2017, 21:58
Es ist der zweite Anlauf für die Ausstellung "Geheimsache: Leben". Im Jahr 2001 hatte der frühere Direktor des Historischen Museums die Schau abgelehnt. Er bezweifelte, dass es zu einem Thema, das so mit Heimlichkeit und Verbergen verbunden ist, genügend ausstellungsfähige Exponate geben würde. Nun gibt es sie, mehr als 700 Stück an der Zahl, von Kostümen Greta Garbos, die sie sich in den 1930ern vom Wiener Schneider Knize hat schneidern lassen, bis zu einer Männer-Brieftasche mit Frauenfoto - der Versuch, nach außen "Normalität zu demonstrieren" -, von Dokumenten der Homosexuellen-Verfolgung bis zu Requisiten schwul-lesbischer Lebenswelten der Gegenwart.
Außensicht und Innenwahrnehmung
Im ersten Teil der Ausstellung, "Labor" genannt, wird die Außensicht der Gesellschaft auf Schwule und Lesben mit deren Innenwahrnehmung kontrastiert. Beim Kapitel Kirche etwa: außen bischöfliche Rundschreiben mit Verdammungsurteilen, innen ein rührender Versuch, die sexuelle Orientierung mit dem Bedürfnis nach religiöser Verankerung zusammenzubringen:
Die Ausstellung zeigt den homosexuellen Alltag im Laufe eines Jahrhunderts zwischen den Polen Vergnügung und Verfolgung. Fotos aus den einschlägigen Lokalen gehören genauso dazu wie Erpresserbriefe an Homosexuelle, ganze Stapel an Gerichtsakten und der "rosa Winkel", den die von den Nazis in die KZs gesperrten schwulen Männer tragen mussten und dennoch bis heute um die Anerkennung als NS-Opfer kämpfen müssen.
Dechiffrierte Codes
Viele der gezeigten Exponate wurden aus der schwul-lesbischen Community zur Verfügung gestellt, die Materialien zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mussten jedoch ganz klassisch recherchiert werden. Doch wie recherchiert man zu einem Thema, bei dem manche nicht einmal der eigenen Familie gegenüber Offenheit wagten? Wo viele der Geschichten nicht tradiert, die meisten Gegenstände, die auf diese Geschichten verweisen, nicht aufbewahrt wurden? Wenn man ein Leben im Geheimen führen musste, dann entwickelte man Codes. Und diese Codes müsse man dechiffrieren, sagt Ines Rieder, eine der vier Kuratorinnen und Kuratoren der Ausstellung. Verstecktes Leben, codierte Überlieferungen.
Doch hier liegt auch ein Problem: Viele dieser Informationen sind bloße Hinweise und Gerüchte. Vor dem Hintergrund der Strafbarkeit von Homosexualität ist das kein Wunder. Der Teufel steckt im Einzelfall: Wenn zum Beispiel ein Mann dementiert, dass er homosexuell ist, was sagt das genau aus? Dass er etwas verbergen will oder muss? Welche Interessen könnten jene haben, die das Gerücht verbreiten: Geht es um das Aufdecken von Wahrheiten, oder um das Anschwärzen? Wie kann man das entscheiden?
In unklaren Fällen bevorzugt Ines Rieder den Ausdruck "homosozial", will heißen: Die Frau oder der Mann hat hauptsächlich in einem gleichgeschlechtlichen privaten Umfeld verkehrt. Doch der Zweifel bleibt: Kann man das dann schon als schwul-lesbisches Leben bezeichnen? Oder wird, um den Umfang der Szene zu demonstrieren, manch eine und manch einer bloß vereinnahmt?
Weibliche Netzwerke
Ines Rieder forscht schon seit Jahren über weibliche Netzwerke und Freundschaftszusammenhänge. Im Buch "Wer mit wem" hat sie über berühmte Frauen, ihre Freundinnen, Liebhaberinnen und Lebensgefährtinnen geschrieben.
Viele Frauen, vor allem die, die in ihrer sexuellen Identität ambivalent waren, sowie die, die sich einen Platz in der Welt sichern wollten, ließen bewusst den Umgang mit Frauen aus ihren offiziellen Aufzeichnungen aus, da ihnen deren Erwähnung wohl nicht genützt und sie schlimmstenfalls unangenehmen Verdächtigungen ausgesetzt hätte.
Dass die hiesige schwul-lesbische Szene nunmehr auch von der Fremdenverkehrswerbung speziell beworben wird, entlockt Ines Rieder durchaus ein Lächeln. Wichtiger aber ist ihr anderes: "dass es möglich ist, sich hinzustellen und zu sagen, ich liebe einen Mann/Frau und dass das keine Konsequenzen hat."
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