Wie viel Ausland verträgt nationales Kino?
Not made in Austria
Die Ablehnung des Österreichkandidaten für den Auslandsoscar, Michael Hanekes französischsprachigen Film "Caché", wirft die alte Frage nach Sinn und Unsinn - und der schwierigen Definition - einer "national cinema"-Debatte neu auf.
8. April 2017, 21:58
Die Academy of Motion Picture Arts hat also entschieden: Michael Hanekes jüngstes Bravourstück "Caché" kann nicht, wie von Österreich vorgeschlagen, für den Auslandsoscar nominiert werden. "Caché" sei nämlich, so die Ablehnungsbegründung der Academy, kein richtiger österreichischer Film, weil die Figuren darin nicht österreichisch, sondern französisch sprechen. Das leuchtet ein. Es hätte auch eingeleuchtet, wenn "Die Klavierspielerin", Hanekes vorletzter, ebenfalls in französischer Sprache gedrehter Film, mit der gleichen Begründung abgelehnt worden wäre. Ist er aber nicht.
Stellt man sich die Frage, was an der "Klavierspielerin" österreichischer sein soll als an "Caché", fällt einem spontan nur eine Antwort ein: die Autorin der Vorlage. Spontan und trotzdem falsch. Im Fall von "Caché" nämlich ist Michael Haneke der (alleinige) Autor - und der ist, soweit man das in Ermangelung einer verlässlichen Austrometer-Auswertung zu beurteilen vermag, genauso viel oder wenig Österreicher wie Elfriede Jelinek.
Man spricht ausländisch
Hätte Österreich beispielsweise einen Film wie "Die fetten Jahre sind vorbei" des Vorarlbergers Hans Weingartner ins Oscar-Rennen geschickt, wäre man in Los Angeles nachweislich einverstanden gewesen. Dass der Film ebenso wie "Caché" nicht in Österreich spielt und mit Nicht-Österreichern besetzt wurde, stört jenseits des Atlantiks niemanden: Wo deutsch gesprochen wird, ist ein auch ein bisschen Österreich drin.
Eine absurde Variante dieses Kurzschlusses könnte den folgenden (theoretischen) Fall hervorbringen: Würde ein portugiesischer Regisseur in Rio de Janeiro mit brasilianischer Besetzung einen brasilianischen Roman verfilmen, dürfte er für Portugal um den Auslandsoscar ins Rennen gehen. Würde derselbe Regisseur im spanischen, einen Steinwurf von der portugiesischen Grenze entfernten Badajoz mit spanischen Schauspielern einen portugiesischen Roman verfilmen, wäre er draußen.
Fremder Eigenbau
Von solcherlei exotischen Absurditäten und der Hüftschuss-Länderkunde amerikanischer Filmkommissionen abgesehen, herrscht gerade zwischen Österreich und Deutschland, filmhistorisch betrachtet, tatsächlich ein einigermaßen schlampertes Verhältnis. Wer könnte schon auf Anhieb sagen, ob der größte Kassenschlager in der deutschsprachigen Filmgeschichte, der 1954 vom Wiener Regisseur Alfons Stummer mit deutschen Hauptdarstellern und vorwiegend deutschem Geld in der Steiermark gedrehte Heimatfilm "Der Förster vom Silberwald" ein deutscher oder österreichischer Film wäre? In solchen Fällen tut sich sogar mancher Filmhistoriker schwer - während manch anderer sich in weit klarer entscheidbaren Fällen je nach Belieben das Etikett aussucht, das er gerade braucht: Im 1993 erschienen, ansonsten höchst seriösen Band "Geschichte des deutschen Films", wird Ernst Marischkas "Sissi"-Trilogie ohne den Ansatz einer Relativierung dem deutschen Film zugerechnet.
So etwas kann einen ärgern - und zwar nicht wegen fahrlässiger Verletzung des Nationalstolzes, sondern wegen unterlassener filmhistorischer Sorgfaltspflicht. Andererseits könnte man sagen, dass das österreichische Kino es nicht besser verdient hat. Da lernt etwa der langjährige Botschafter des "typischen" Wienertums, Hans Moser, ein künstliches Wienerisch, damit sein Typ auch in Deutschland verkaufbar ist. Und da müssen Filmemacher oder Schauspieler, die sich in Österreich gut verkaufen wollen, in der Regel erst mal ins Ausland gehen, damit sie hier überhaupt wahrgenommen werden. Michael Haneke könnte darüber einiges erzählen. Am besten auf Englisch, damit man auch an der amerikanischen Westküste mitkriegt, dass Österreich als Filmnation oft nur über Umwege funktioniert.
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Caché