Testen gefährdet ihre Umwelt

Stundenweise

Sobald der Ich-Erzähler aus seinem persönlichen Nähkästchen plaudert, lebt die Kolumne auf. Doch sind Glossen automatisch interessant, wenn es darin um Sex geht? Ist Feldforschung stets angebracht? Ein Ausflug ins Hotel Orient gibt Antwort.

In der "Freizeit", der bunten Beilage der zweitgrößten österreichischen Tageszeitung, kam ich unlängst in den Lektüre-Genuss eines persönlich gehaltenen Testberichts. Der, das sei jetzt unterstellt, junge Redakteur berichtete darin von einem selbst zubereiteten Souper, der darauf folgenden Sofa-Annäherung und der anschließenden Einnahme von Cialis. Sie wissen schon, das sind jene Pillen, deren Bezug via Internet in jeder zweiten E-Mail günstigst angeboten wird. Cialis verspricht wie Viagra Standfestigkeit, soll aber länger wirken und darf auch, wichtiger Unterschied, gemeinsam mit Alkohol eingenommen werden. Der langen Vorrede kurzer Sinn: Die Tabletten, so der Tester, wirken bei Männern, die diesbezüglich keine Probleme haben, lustverlängernd im Sinne von Paulchen Panthers Abspann-Satz.

Schön für den Redakteur. Aber welches weibliche Wesen wird sich noch einlassen mit ihm? Will frau sich in der Öffentlichkeit als notwendiges Beiprodukt für pharmazeutische Zuverlässigkeitsüberprüfungen wieder finden? Womit wir beim Problem von Sexkolumnen wären.

Spannend sind Kolumnen immer dann, wenn der Verfasser oder die Verfasserin auch über eigene Erfahrungen schreibt. Das Autoren-Ich sollte nicht all zu ernst genommen werden vom Autor, im Gegenteil: es darf sich mitunter auch schon mal bloßstellen. Im Dienste der Leselust. Gerne berichtet der Glossenschreiber also vom Versagen beim Programmieren des Videorekorders oder von angebrannten Gerichten bei Jamie-Oliver-Lookalike-Wettbewerben. Wer aber getraut sich öffentlich vom Versagen beim Kondom-Überstreifen oder unwiederbringlich abgetauchten Liebeskugeln zu berichten?

Also bringt uns die Sexpertin Fälle aus ihrer Facharzt-Praxis nahe. Die medizinischen Laien unter den Sexkolumnisten sind da auf ihren Freundeskreis angewiesen beziehungsweise auf Studien aller Art, wenn sie am Erhalt des Freundeskreises interessiert sind. Und Studien zum Sexualverhalten gibt es zuhauf. Besonders gerne werden Untersuchungen amerikanischer Institute zitiert, nicht weil deren Repräsentativität international hoch geschätzt würde, sondern weil die Wissenschaftler drüben so schöne Aufhänger für weit schweifende Gedanken liefern.

Wenn ein Herr Soundso eine Formel für den attraktivsten Po entwirft und den Spitzenwert bei 0,7 ansiedelt, dann lässt sich trefflich über das möglichst attraktive Arschgesicht des Mannes philosophieren. Denn in dieses Gesicht sollen die Damen bei den Herren ja zuallererst schauen.

Blöd nur, dass diese Antlitze letzten Sonntag reichlich verhüllt waren. Weibliche und männliche Exemplare waren zahlreich erschienen, um der Präsentation eines Buches mit Sexkolumnen beizuwohnen. Und das an einem Ort, an dem das Verb des vorigen Nebensatzes meist in seiner schlüpfrigen Form interpretiert wird.

Man befand sich im Hotel Orient, als in der live vorgetragenen Kolumne erwartungsgemäß auch die Metapher von der Po-Ebene fiel, die bei einer Ausbreitung der Backen-Philosophie nicht fehlen darf. Rätselte das Publikum über den Po-Quotienten der Kolumnistin? Eher nein, denn im verwinkelten Stundenhotel, das drei der plüschigen Zimmer im Erdgeschoß für das Buchevent frei geräumt hatte, waren nur wenige in der Lage, freien Blick aufs Podium zu genießen. Man lauschte also in erster Linie. Und beobachtete die geladenen mehr oder weniger prominenten Gäste.

Das eine oder andere stolz zur Schau gestellte Dekolletee der aufgemascherlten Damen soll nicht ganz ohne Hilfe zur gefälligen Form gefunden haben, wie mir von fachlich gebildeter Seite versichert wurde. Der männliche Teil der Kolumnen-Lauscher zeichnete sich durch im Gesicht ablesbare Erfahrung aus. Welcher Prozentsatz schon die blauen Pillen von einem der Präsentations-Sponsoren seinem Glas Wasser beigemischt hat, wurde weder abgefragt noch geschätzt. Zur freien Entnahme ausgelegt wurden die Pillen nicht, dafür aber Kondome mit angeblichem Verlängerungseffekt.

Als ich den Altersschnitt der sponsorgestützten Buchpräsentation mit der sonntäglichen Josefstadt-Vorstellung verglich wurde ich daran erinnert, mit 42 auch nicht mehr allzu viel zur Senkung des Durchschnittsalters beitragen zu können. Die jüngsten Personen im Etablissement waren übrigens dazu abgestellt, die Vibratoren eines weiteren Sponsors lächelnd zu bewachen beziehungsweise Bedienungs-Auskünfte zu erteilen.

Ich habe dann, um jetzt persönlich zu werden, ein Päckchen Streichhölzer mit "Hotel Orient"-Aufdruck an mich genommen. Damit ich beweisunterstützt protzen kann, auch mal im verruchten Stundenhotel gewesen zu sein. Ebendieses war mein Ziel, jetzt sei es zugegeben. Als Draufgabe habe ich dann noch ein Buch mit Sexkolumnen mitbekommen. Ein wahrlich harter Sonntag war das.

Buch-Tipp
Gabriele Kuhn, "Lustsprünge", Amalthea Verlag, ISBN 3850025411

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