Aufarbeitung der Vergangenheit

Die Macht der Erinnerung

Bei der Konferenz der European Association of Japanese Studies in Wien wurde vom 31. August bis 3. September eine breite Palette aktueller Themen aus der Japanforschung präsentiert. Breit vertreten waren dabei Forschungen über die jüngste Geschichte Japans.

Seit Beginn der 30er Jahre versuchte Japan durch die Unterwerfung zahlreicher Länder Asiens eine "Großostasiatische Wohlstandsphäre" unter seiner Führung zu errichten. Offiziell galt der Kampf unter dem Oberkommando von Kaiser Hirohito dem Bestreben, Asien aus der westlichen Kolonisation zu befreien.

Die kaiserliche japanische Armee verübte zahlreiche Verbrechen, die zum Teil bis heute ungesühnt geblieben sind. Mit dem Überfall auf Pearl Harbour 1941 begann der Pazifische Krieg. Am 15. August 1945 kapitulierte Japan.

Fehlender Konsens

Bis heute fehlt in Japan ein breiter Konsens aller gesellschaftlich relevanten Kräfte über die Bewertung der jüngeren Vergangenheit. Das Demokratieverständnis lässt eine breite Palette von Interpretationen zu.

Der Kulturwissenschafter Wolfgang Schwentker von der Universität Osaka erklärt diesen Dissens mit der spezifischen Doppelrolle von Opfer- und Täterschaft. Auf der einen Seite sei Japan für einen aggressiven Krieg in Asien und zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich, auf der anderen Seite erlebte es im August 1945 die Atombomben.

Deshalb habe sich zunächst nach 1945 die Täterproblematik nicht in den Vordergrund stellen können, sondern die breite Bevölkerung habe sich als Opfer eines Krieges gesehen, den sie selbst nicht zu verantworten gehabt habe.

Der Kampf um die Erinnerung

Die Erinnerung über die Kriegsvergangenheit war in Japan seit 1945 stets politisch umstritten. Unmittelbar nach 1945 befassten sich vor allem marxistische Historiker und Intellektuelle mit der kritischen Aufarbeitung der Geschichte.

Für die konservative japanische Politik war es ein leichtes, die Ergebnisse dieser Forschungen als ideologisch motiviert abzutun. Was nicht bedeutet, dass die Debatte nicht stattgefunden hätte. Franziska Seraphim, die am Boston College japanische Geschichte lehrt, lässt mit der These aufhorchen, das Thema der Kriegsvergangenheit sei in Japan seit 1945 immer präsent gewesen, jedoch weitgehend als politische Inlandsdebatte.

Seraphim hat die Haltung eines breiten Spektrums der Gesellschaft zu diesem Thema untersucht. Die Ergebnisse ihrer Forschung hat sie im Buch "War Memory and Democracy" niedergeschrieben, das 2006 bei Harvard University Press Buch erscheinen wird.

Yasukuni Schrein

Heute manifestiert sich der "Kampf um die Erinnerung", wie Wolfgang Schwentker sagt, vor allem an den offiziellen Besuchen japanischer Politiker beim Yasukuni Schrein, in dem auch die Seelen hochrangiger Kriegsverbrecher geehrt werden.

Dem Schrein ist ein Museum angeschlossen, mit einer legitimatorischen Interpretation der Geschichte. Für die Opferländer China und Korea stellen die Besuche einen Affront dar.

Schulbuchstreit

Auch das Medium Schulbuch spielt bei der Auseinandersetzung um die Interpretation der Vergangenheit eine gewichtige Rolle. Die Schulbücher unterliegen durch die Zulassungsbehörde im Erziehungsministerium einer starken staatlichen Kontrolle.

Die Auswahl der Texte spiegelt daher die Haltung des Staates zur Kriegsvergangenheit wider. Seit Mitte der 90er Jahre zeigt sich ein Wiedererstarken der Revisionisten. 2001 wurde ein Geschichtslehrbuch des revisionistischen "Vereins zur Erstellung neuer Geschichtslehrbücher" für den Unterricht zugelassen.

Dessen Neuauflage 2005 hat in China zu einer anhaltenden anti-japanischen Welle geführt. Das umstrittene Buch wird zwar in weniger als ein Prozent der japanischen Schulen verwendet, doch Knackpunkt ist die Frage, weshalb es von einer staatlichen Behörde zugelassen wird.

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Polarisierung bis heute

Vor allem seit dem 50. Jahrestag der Kapitulation hat die Geschichtsforschung in Japan große Fortschritte gemacht. Das Bild der Polarisierung in dieser Frage hat sich unterdessen bis heute nicht geändert. Dies liegt am Erstarken konservativer und nationalistischer Kräfte.

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Buch-Tipp
Cornelißen, Klinkhammer, Schwentker, "Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945", Fischer 2003, ISBN 3596152194