Hetty E. Verolme's Überlebensgeschichte
Wir Kinder von Bergen-Belsen
Die gebürtige Belgierin Hetty E. Verolme war 13 Jahre alt, als sie gemeinsam mit ihrer Familie von den Nazis interniert wurde. Wie sie Bergen-Belsen überlebte und aus ihr eine der erfolgreichsten Businesswomen Australiens wurde, erzählt diese Geschichte.
8. April 2017, 21:58
BBC-Gespräch nach dem Tag der Befreiung aus dem KZ
Die gebürtige Belgierin Hetty Esther Verolme hat einen ungewöhnlichen, nicht nur bemerkenswerten, sondern auch bewunderungswürdigen Lebensweg hinter sich. In den 40er Jahren war sie Jugendmeisterin von Amsterdam im Turnen. Als 13-Jährige musste sie zwei Jahre lang im Konzentrationslager Bergen-Belsen um ihr Überleben kämpfen. Nach ihrer Befreiung wurde sie sehr früh Witwe und avancierte schließlich in Australien zu einer der erfolgreichsten Businesswomen.
Die dreizehnjährige Ersatzmutter
Knapp 62 Jahre ist es her, als Hetty E. Verolme, gebürtige Werkendam, mit ihren beiden Brüdern Max und Jackie sowie ihren Eltern bei einer nächtlichen Razzia in Amsterdam aufgegriffen und später ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert wird. Zuerst bleibt ihre Familie noch zusammen, doch dann werden ihr Vater und ihre Mutter, zusammen mit anderen Eltern unter den Augen der Kinder auf einen Transport mit unbekanntem Ziel geschickt.
Zurück im Lager Bergen-Belsen bleiben etwa vierzig Kinder, zwischen zehn Monate und 16 Jahre alt. Dreizehnjährig von den anderen als "Ersatzmutter" akzeptiert, organisiert Hetty zusammen mit anderen Kindern und einer polnischen Aufseherin den Überlebenskampf der Gruppe.
Unvorstellbares Leid
Nach ihrer Befreiung durch britische Truppen am 15. April 1945 interviewt der spätere britische Außenminister Patrick Gordon-Walker für BBC die damals 15-Jährige und erfährt von dem unvorstellbarem Leid, das Hetty E. Verolme zugefügt worden ist.
Stundenlanges Stehen am Appellplatz, Schläge, die Angst, abtransportiert zu werden und ganz besonders der Hunger - das sind Erfahrungen, die für nicht Betroffene nicht nachvollziehbar sind. Der Überlebenskampf in Bergen-Belsen prägt Hetty Verolme jedenfalls für den Rest ihres Lebens. Erlebnisse wie jene, die sie erlitten hat, entziehen sich nicht nur dem Vorstellungsvermögen von TV-Generationen. Menschen, die vom selbst erlebten Grauen berichten, stellen - ob sie sie aussprechen oder nicht - Fragen, die an die tiefsten Schichten des Mensch-Seins rühren. Sie sind mehr als "Zeugen" ihrer Zeit. An Menschen wie Hetty Verolme kann man sehen, was es bedeutet, seine Würde in unverstellbaren Situationen zu behalten und - Mensch zu bleiben, wenn für andere eine passende Bezeichnung fehlt.
Wechselvolle Jahre bis zum großen Erfolg
Anfang der 50er Jahre übersiedeln die Eltern mit beiden Söhnen nach Australien. Hetty heiratet und bleibt vorerst in den Niederlanden. Aber nicht lange. Auf die junge Mutter wartet der nächste Schicksalsschlag, ihr Mann stirbt, und sie ist mit ihrem Kind allein.
1972 wird sie zur erfolgreichsten Emigrantin Australiens gewählt. Zu diesem Zeitpunkt hat sie schon lange ihr erstes Shopping Center aufgebaut. Heute ist sie eine der erfolgreichsten Businesswomen. Der Erfolg in Australien lässt Hetty E. Verolme aber ihre Schicksalsgenossen von damals nicht vergessen. Schon damals hat sie mit den Aufzeichnungen ihrer Erlebnisse in Bergen-Belsen begonnen, die jetzt im Buch "The children's House of Belsen" - "Wir Kinder von Bergen-Belsen" - veröffentlicht worden sind.
Die Gedenkfeiern - 60 Jahre danach
Mit ihrem jüngst auch in Deutsch veröffentlichten Buch hat sie nicht nur ihren Leidensgenossen ein Denkmal gesetzt, sie versucht auch immer wieder, die Kontakte aufrechtzuerhalten.
Große Wiedersehensfreude gab es jüngst bei der Gedenkveranstaltung in Bergen-Belsen im April dieses Jahres, denn Hetty E. Verolme fühlt sich - 60 Jahre danach - mit den wenigen Überlebenden noch immer stark verbunden. Durch das Halten der Kontakte mit den Kindern von Baracke 211 hat sich nämlich für sie eine Gruppe von Menschen ergeben, die auch etwas anderes zusammenhält als Blutsverwandtschaft: das gemeinsame Leiden, aber auch die Kommunikationsbereitschaft und die Bereitschaft, immer wieder aufzustehen.
Buch-Tipp
Hetty E. Verolme, "Wir Kinder von Bergen Belsen", Beltz-Verlag, ISBN 3407857853
Download-Tipp
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Beltz Verlag - Buchinfos