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Ars Electronica Tagebuch

Was sich im Lateinischen ursprünglich auf die Kreuzung eines Hausschweines mit einem wilden Eber bezog, meint heutzutage alles Neue aus der Vermengung von Bestehendem. Genau dieser "Hybridisierung" widmet sich die "Ars" noch bis 6. September.

Hybrid ist das diesjährige Thema der Ars Electronica in Linz. Die Stadt ist voll von hybriden Kreaturen, konstruiert von einer jungen Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die sich respektlos und mit einfachsten Mitteln mit der Maschinenwelt auseinandersetzen.

Mehr über erste Eindrücke von der Ars Electronica in Ö1 Inforadio

5. September 2005

Das Prix-Forum "Netvision" ist gut gelaufen. Interessante Gäste, interessante Projekte, interessante Diskussionen. Das Projekt "Vote Auction" des österreichischen Künstlerduos "Ubermorgen", das eine Auszeichung erhalten hat, erntete viel Applaus. Applaus auch für Ashwin Navin von BitTorrent und große Sympathie für Casey Reas und Benjamin Fry für ihr Programmierwerkzeug "Processing", das die Goldene Nica erhalten hat. Nach der überzeugenden Präsentation durch die beiden juckt es einen richtig in den Fingern, das Programmieren von Grafiken und Animationen auch einmal selbst zu versuchen.

Am Nachmittag gab es weitere spannende Diskussionen zur Frage "Machen Wissensgesellschaften den Digital Divide tiefer?", die von der World Culture Forum Alliance gestellt wurde. Zum Ausruhen abends die CD-Präsentation "Mulonga Soundbridge Rewind" mit Live-Musik von Otto Lechner und dem Windhund Trio. Am 6. September diskutieren wir noch über Antriebskräfte, Bedürfnisse und Behinderungen von Digital Communities im Prix-Forum, dann geht es wieder heimwärts. Schade eigentlich, ich hätte gerne eine Nacht im Parkhotel im Donaupark gebucht zum Erholen. Heute habe ich mir das "Zimmer" kurz angesehen - ich hätte nie gedacht, dass eine Betonröhre so gemütlich sein kann.

4. September 2005

Heute habe ich mir am Linzer Hauptplatz das Projekt "Used Clothing" des "The next idea"-Stipendiaten Martin Mairinger angesehen. Eigentlich wollte ich dort ein altes T-Shirt abliefern und mit einer Geschichte versehen, die ein Käufer dann von dem anghängten Chip auslesen kann.

Erstens hatte ich jedoch das T-Shirt vergessen, zweitens ist der Second Hand Shop nicht wirklich ein solcher, man bekommt die Sachen wieder zurück. Schade, ich finde die Idee faszinierend.

Als nächstes gehts in die Cyberarts-Ausstellung im OK Centrum für Gegenwartskunst, wo die Strandbeesten von Theo Jansen wie Fossilien im Naturhistorischen Museum gezeigt werden. Spannend auch das interaktive Projekt "Run Motherfucker Run", bei dem man auf einem Laufband laufend einen Film steuert. Ich habe mich nicht hinaufgewagt, Laufbänder schrecken mich schon im Fitnesscenter ab.

Nach einer kurzen Pause geht es zurück zum Lentos Kunstmuseum, wo "Listening Between the Lines" startet, ein Abend voll elektronischer Musik rund um Lentos und Brucknerhaus. Der Abend wird noch lange dauern, aber ich muss ins Bett. Morgen muss ich fit sein für unser Prix Forum "Netvision".

3. September 2005

Den ganzen Tag bin ich zwischen Vorträgen, Interviews und Gesprächen mit den Gästen unserer Prix-Foren am 5. und 6. September hin- und hergependelt. Im Symposion habe ich den Anthropologen Massimo Canevacci über unsere vielfältigen Identitäten im digitalen Zeitalter reden gehört, in der Electrolobby mit Agnese Trocchi über Straßenfernsehen diskutiert, im Interview mit Alain Dépocas über die Konservierung digitaler Kunst.

Dazwischen lebt man die eigenen hybriden Identitäten - schnell einmal vom Vortragssaal aus per WLAN ins Netz gehen und ein Dokument per E-Mail an jemanden schicken, der neben einem sitzt, - "oder hast du deinen Memorystick dabei?" - Bei der Ars Electronica fällt einem nicht mehr auf, wie sehr man schon das geworden ist, worüber hier diskutiert wird.

Abends dürfen alle zu Kindern werden und bei der Klangwolke aufgeregt bewundern, was Hubert Lepka sich für "Teilung am Fluss" ausgedacht hat. Große Bewunderung für das Konzept und die perfekte Durchführung eines großen Spektakels zu Lande, zu Wasser und in der Luft. So perfekt, dass sogar das Wetter mitgespielt hat. Am Vormittag hat es noch geschüttet, abends dann dramatische Wolken am Himmel, die die chromfarbene DC-9 noch unglaublicher aussehen lassen.

Am Abend sind vor dem OK Centrum die prämierten Animationsfilme zu sehen, danach einige Preisträger aller Prix-Kategorien auf Tuchfühlung zu erleben.

Mehr zur Klangwolke in oesterreich.ORF.at

2. September 2005

Große Feier im Brucknerhaus. Die Gewinner des Prix Ars Electronica haben ihre Goldenen Nicas und Auszeichnungen entgegengenommen, jetzt wird gegessen, getrunken, gefeiert und vor allem: viel geredet. Man tauscht sich aus über hybride Lebensweisen und paradoxe Lebenssituationen, und diskutiert über die Vorträge des Symposions, in dem es genau darum geht. Da wurden die Begeisterten wie Symposions-Kurator Derrick de Kerkhove, Leiter des McLuhan-Programms an der Universität Toronto, genauso gehört wie die Zweifler, darunter ganz prominent Aminata Traoré, ehemalige Kulturministerin von Mali.

Im Ars Electronica Center gibt es eine Reihe neuer Ausstellungsobjekte und -installationen, und es ist eine Freude zu sehen, wie Kinder das Museum der Zukunft sofort "in Besitz" nehmen. Im "Millionenzimmer" des Schlosses Schönbrunn bin ich gegen einen wertvollen alten Tisch gelaufen. Vollkommen 3D, aber zum Glück nur virtuell - das Ars Electronica Futurelab hat mich vor gröberen Schadenersatzforderungen bewahrt.

Das liebste Spielzeug aller im Brucknerhaus ist übrigens die Installation "Blow Up" von Scott Snibbe aus den USA: Man bläst in zwölf kleine Lufträder hinein und treibt damit zwölf große Ventilatoren an. Angesichts des schwülen Wetters am Nachmittag war die große Begeisterung der Ars-Besucher für das Projekt sehr willkommen.

1. September 2005

Sie sind wieder da, die Elektronikkunst- und Medienforschungs-Nomaden - und ich mittendrin. Im Brucknerhaus in Linz sind schon die Ausstellungen zum heurigen Festival-Thema "Hybrid" aufgebaut, an der Donau vorm Brucknerhaus stehen LKWs und Kräne mit monströsen Lautsprechern, aus denen Bruchstücke der Klangwolke dröhnen. Bei den Proben über den Tag bekommt man eine Ahnung, was einen am Samstag bei der Aufführung erwartet. Die Ausstellungen im Ars Electronica Center, an der Kunst-Uni und im OK Centrum für Gegenwartskunst spare ich mir noch auf. Zuerst gilt es, Interviews zu führen und andere für die nächsten Tage zu vereinbaren und viele Gespräche zu führen. Dafür ist die Ars Electronica ja da: Diskurs, Vernetzung, Anregung.

Abends die Eröffnung in der Montagehalle der ÖBB. Im Dunkeln lässt sich das Ausmaß der Halle nicht abschätzen. Lokomotiven hängen von der Decke wie anderswo die Speckseiten - das Gefühl für Dimensionen geht hier verloren. Unter einer Lokomotive wabbert blau beleuchteter Trockeneisnebel aus der Montagegrube hervor, dazu elektronische Klänge und Bilder von DJs und VJs. Die Ars Electronica hat es wieder einmal geschafft, Mechanik und Elektronik, schwere Industrie und digitale Leichtheit, Linz und die Welt zusammenzubringen.

Mehr zu aktuellen Berichten in Ö1 der Festspielsender

Links
Ars Electronica Center - Festival
dasparkhotel