Pervasive Computing

Die Informatisierung des Alltags

Ob die Welt wohl gerechter wird, wenn Dienstleistungen dank Informationstechnologie genauer abgerechnet werden? Und ob wir alles Verlorene wiederfinden, weil die Dinge aufgrund von Sensoren und Computerchips wissen, wo sie sind?

Das Schlagwort "Pervasive Computing" steht für überall vorhandene und alle Bereiche durchdringende Informationstechnologien, oder einfach: immer und überall digital. Führend bei der Forschung zur "Informatisierung des Alltags" ist die ETH Zürich.

Ist der "schlaue" Kühlschrank sozial kompatibel?

"Der Kühlschrank, der online und selbsttätig Milch bestellt sobald der Vorrat zu Ende geht, wird die Welt wohl kaum verändern", meint der Informatiker Friedemann Mattern von der ETH Zürich, wo er das Institut für "Pervasive Computing" mitgegründet hat. Doch wenn immer mehr Alltagsgegenstände "schlau" werden, dann habe das gesellschaftliche, kulturelle und wirtschaftliche Folgen.

Technische Neuerungen verschieben auch gesellschaftliche Normen. Wenn Schlüssel und Heizung kooperieren, Kaffeehäferl und Koffer miteinander kommunizieren, ist das nicht unbedingt "sozial kompatibel", wie Friedmann Mattern von der Eidgenössisch Technischen Hochschule Zürich es ausdrückt.

Umweltbelastung trotz Smartness

Risiken und Nebenwirkungen der Informatisierung des Alltags - abgesehen von Datenschutz und Privatsphäre - beschäftigen Lorenz Hilty von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA in St. Gallen.

Die Komponenten der Informations- und Kommunikationstechnologien werden immer kleiner, im Gegenzug aber nicht auch die Umweltbelastung durch Schwermetalle bei Produktion und Entsorgung.

Lorenz Hilty: "Elektronikabfall hat in den letzten Jahren weltweit dramatisch zugenommen. Es gibt Abfallströme, die um den Globus wandern. Nun stellt sich die Frage, ob die weitere Miniaturisierung der Geräte diese Probleme löst. Ich habe große Zweifel: Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass jede Miniaturisierung durch eine größere Anzahl von Geräten ausgeglichen wird. Ich glaube eher, dass sich der Charakter des Elektronikabfalls verändern wird - in dem Sinn, dass man Mühe haben wird ihn als solchen zu erkennen."

Je öfter "Smartness" in Häferl, Jacke oder Koffer steckt, desto mehr wird Müll-Trennung zum Ratespiel mit Brachialgewalt: Wo könnte der Chip, der Sensor stecken? Und wie trenne ich ihn vom Keramikhenkel, aus dem Lederfutter oder der Gürtelschnalle?

Recht auf Einsamkeit

Im Unterschied zu heute, sei künftig mit dem Ausschalten des PCs keineswegs die elektronische Datensammlung beendet, gibt Friedemann Matttern in einem Aufsatz zu bedenken: Smarte Gegenstände und sensorbestückte Umgebungen seien fast immer aktiv und häufen Daten an, um jederzeit ihre Dienste anbieten zu können.

Für Datenschützer ein Schreckensszenario: Wenn persönliche Daten und unbedeutend erscheinende Details nicht mehr bei Bedarf gesammelt werden, sondern auf Vorrat.

"Das Recht, alleine gelassen zu werden" - so hat vor gut 100 Jahren ein US-amerikanischer Jurist die Privatsphäre definiert. Bei den Szenarien, die Techniker entwerfen, können in Zukunft überall Datenspuren hinterlassen werden.

Diese Spuren aufzulesen, kann unauffällig und unbemerkt geschehen. Die Daten können detaillierter und individueller sein als heute, wenn Sensoren z. B. über Blutdruck oder Geschwindigkeit der Fortbewegung Auskunft geben.

Wie weit sich der einzelne auf smarte Gebrauchsgegenstände und auf die elektronische Vernetzung der Dinge einlasse, das müsse jeder selbst abwägen, meint der Linzer Informatiker Alois Ferscha. Man muss sich überlegen, ob der persönliche Nutzen überwiegt oder ob das Preisgeben von persönlichen Daten zu weit geht.

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Links
ETH Zurich - Friedemann Mattern
Universität Linz - Institut für Pervasive Computing
Distributed Systems Group
EMPA in St. Gallen
matrix.ORF.at
futurezone.ORF.at