Bewegte Erde, bewegte Menschen

Schweres Beben

In seinem Roman "Schweres Beben" präsentiert Jonathan Franzen ein erschreckendes Umweltszenario. Es geht aber nicht nur um tektonische Beben, sondern vor allem um die emotionalen Beben, die die Protagonisten des Romans durchleben.

Die Hollands sind eine amerikanische Familie, wie wir sie bei Franzen immer wieder vorfinden: Unter einer scheinbar ruhigen Oberfläche lauern jene Ressentiments, jene Emotionen, die nur darauf warten, hervor zu brechen. In ihrem Kern besteht die Familie aus der frustrierten Aufsteigerin Melanie, aus Bob, ihrem Ehemann, einem Universitätsprofessor für Geschichte, und deren beiden ungleichen, erwachsenen Sprösslingen Louis und Eileen.

Konfliktreiche Familie

Mit einem ersten Erdbeben im Raum Boston, wo die Hollands wohnen, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Bei dem Erdstoß kommt eine Großmutter zu Tode. Sie hinterlässt Melanie Holland ein großes Vermögen, bestehend aus Aktienpaketen einer nahe gelegenen Chemiefabrik. Der plötzliche Reichtum eines ihrer Mitglieder zündet augenblicklich die schon lange schlummernden Konflikte innerhalb der Familie.

"22 Millionen Dollar? Was willst Du damit machen?"
"Keine Ahnung."
"Wie wär's mit einer Jacht? Jachten sind hübsche Geschenke."
Melanie schüttelte den Kopf. "Es ist nicht wahr."
"Ach, es ist nicht wahr? Das heißt es ist unwahr. Das heißt was? Dass es 21,9 Millionen sind oder 22,1?"
"Hör bitte auf, diese Summe zu erwähnen."

Verursacher Chemiefabrik?

Bald wird Louis erfahren müssen, dass die ererbten Aktienmillionen teilweise nur auf dem Papier existieren. Vorher trifft er noch auf die Wissenschafterin Renée, eine um sieben Jahre ältere Seismologin, in die er sich verliebt.

Sie ist es, die Louis über Erdbeben und ihre Mechanismen aufklärt. Und ihm eine Theorie unterbreitet: Die örtlichen Erdstöße würden von eben jener Chemiefabrik verursacht, an der er Anteile hält. Sie entsorge ihre Abfälle illegal in einem heimlich angelegten Bohrloch.

"Habe ich das richtig verstanden: Flüssigkeitseinleitungen können Erdbeben verursachen?"
"Ja. Dazu kann es kommen, wenn man große Flüssigkeitsmengen in den Untergrund pumpt."


Nach weiteren Erdstößen in Boston gibt Renée als Seismologin ein Fernsehinterview. Dabei lässt sie sich auch zu Kritik an einer fundamentalistischen Sekte hinreißen, die massiv gegen Abtreibungen agiert und ihr Zentrum in einem der erdbebengefährdeten Gebäude eingerichtet hat. Hunderte von persönlichen Drohbriefen trudeln in der Folge bei ihr ein. Und so nehmen die Dinge ihren Lauf.

Aus der Katastrophe nichts gelernt

Jonathan Franzen, der für den "New Yorker" ebenso wie für "Harpers Magazine" schreibt, entführt auf den 700 Seiten seines Romans nicht nur in die spröde Theorienwelt von Seismologen und Erdbebenexperten, er handelt auch die Abtreibungsfrage als Reizthema ab. Und er versteht es meisterhaft, dem Leser nebenher die Mechanismen der Ökonomie und die Wirtschaftspraktiken "Made in America" am Beispiel eines aufstrebenden Chemiekonzerns vor Augen zu führen. Und obwohl schlussendlich die Umweltkatastrophe tatsächlich passiert, bleibt alles beim Alten. Nichts hat sich geändert.

Wir werden heiraten und Kinderchen haben und fleißig mitsummen, wenn der Fernsehprediger fromme Lieder singt. Vielleicht werde ich sogar ein so guter Christ, dass ich es abstreite, wenn mir jemand sagt, wie richtig ich alles mache. Denn würde ich zustimmen, wäre das Stolz, und Stolz ist auch eine Sünde, stimmt's? Der wahre Glauben ist ein gut verstecktes Osterei, tief im Herzen.

Der New Yorker Jonathan Franzen, dem für seinen Roman "The Corrections" im Jahr 2001 der National Book Award verliehen wurde, beweist sich mit "Schweres Beben" einmal mehr als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart.

Buch-Tipp
Jonathan Franzen, "Schweres Beben", übersetzt von Thomas Piltz, Rowohlt Verlag, ISBN 3498020900