Die verborgenen Seiten der iranischen Gesellschaft

Schauplatz Iran

In ihrem 150 Seiten starken Buch nehmen Katajun Amirpur und Reinhard Witzke den Leser mit auf eine Reise durch die Geschichte des Iran, sie machen ihn mit den politischen Gegebenheiten vertraut und zeigen ihm die verborgenen Seiten der iranischen Gesellschaft.

Das Autorenduo Katajun Amirpur und Reinhard Witzke beginnt sein Buch mit einer knappen Einführung zu Land und Leuten, Wirtschaft, Kultur und Religion. Den Hauptteil des Buches widmet es der islamischen Revolution. Doch vorher durchschreitet es in Sieben-Meilen-Stiefeln die Geschichte des modernen Iran von 1828 bis zum 16. Jänner 1979, als der letzte Schah das Land verlassen hat.

In den Augen der iranischen Bevölkerung war der iranische Monarch ein Despot, der seinem Volk jedwede Mitsprache verweigerte und seine Kritik brutal unterdrückte. Und trotz der immensen iranischen Ölvorkommen lebte ein Großteil der Bevölkerung in Armut. Deshalb herrschte im Januar 1979 und in den darauf folgenden Monaten Aufbruchstimmung in Iran. Die Menschen frohlockten und hofften auf ein Leben in Freiheit und Wohlstand.

Kurzer Frühling

Der Frühling der Freiheit währt nicht lange. Für Ajatollah Chomeini ist die Revolution mit dem Sturz des Schahs nicht beendet, sein Ziel ist die vollständige Islamisierung der Gesellschaft. Vertreter des alten Regimes und potenzielle Konterrevolutionäre werden in einer Hinrichtungswelle ausgeschaltet, man erlässt rigorose Rechtsvorschriften und befiehlt den Frauen, sich zu verschleiern. Das Kernstück der neuen Verfassung ist die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten.

Während in einem republikanischen System das Parlament das höchste Organ ist, ist es in der Islamischen Republik der Revolutionsführer.

Der Revolutionsführer hat das Sagen

Als Ajatollah Chomeini 1989 stirbt, bleibt die erwartete Systemkrise aus. Reibungslos werden Ali Chamenei zum neuen Revolutionsführer und Hashemi Rafsandschani zum Staatspräsidenten gewählt. Die Menschen hoffen auf Wandel. Doch die wirtschaftlichen Reformen Rafsandschanis scheitern, und die politische Macht geht mehr und mehr auf den religiösen Führer Chamenei über.

Als Mohammad Chatami sich im Mai 2001 zum zweiten Mal für die Kandidatur zum Präsidenten bewarb, sagte er, er habe nicht mehr Macht als ein gewöhnlicher Bürger. Seine Worte beschreiben die Machtverhältnisse recht genau. Der Präsident kann ohne die Unterstützung des Revolutionsführers nichts machen.

Ähnlich ist es mit dem Parlament. Zwar hatten die Reformer seit August 2000 die Mehrheit, doch das half ihnen kaum weiter. Der übergeordnete Wächterrat muss die Gesetze bestätigen. In den vergangenen vier Jahren wurden 90 Prozent aller Gesetzte vom Wächterrat abgelehnt, weil sie angeblich gegen die islamischen Prinzipien des Staates verstoßen. Die politische Stagnation führt dazu, dass sich das Volk frustriert von der Politik abwendet.

Die Gesellschaft heute

Im letzten Kapitel analysieren die Autoren die Perspektiven des Landes und bieten spannende Einblicke in den Zustand der Gesellschaft. Sie zitieren Studien, die zeigen, dass sich viele Iraner enttäuscht von der Religion abgewendet haben. Nur noch 25 Prozent befolgen die religiösen Gebote, unter den Studenten sind es nur noch 14 Prozent.

Der Iran ist ein junges Land. Von den 68 Millionen Menschen sind 35 Million unter 20. Ihnen fehlen angesichts der schlechten Wirtschaftslage oft die Perspektiven. Vorehelicher Geschlechtsverkehr oder andere Vergnügungen sind ihnen verboten.

Viele flüchten sich ins innere Exil oder in eine Traumwelt und Exzesse.

Die dunklen Seiten

Die Zerrissenheit zwischen der offiziellen Welt und der verbotenen halten viele nicht lange durch und greifen zu Drogen. 76 Prozent des globalen Opiumangebots werden im Iran konsumiert. Von allen Süchtigen weltweit leben 15 Prozent im Iran. Sogar an den Schulen haben sich Drogen inzwischen epidemisch ausgebreitet.

Die Autoren berichten von weiteren dunklen Seiten der Gesellschaft. Etwa von der weit verbreiteten Prostitution oder der gespaltenen Geistlichkeit. Dennoch blicken sie voll Optimismus in die Zukunft des Landes.

Inzwischen gibt es in der iranischen Gesellschaft einen Konsens darüber, dass es keine Alternative zu einer demokratischen Staatsform gibt. Dies war ein langwieriger und schmerzhafter Prozess. Aber vielleicht muss jede Gesellschaft diesen Weg selber gehen - anstatt von einer Weltmacht befreit zu werden, die dann in kürzester Zeit jeden Kredit verspielt. Das ist der Grund warum es immer noch Hoffnung gibt auf eine demokratische Islamische Republik Iran.

Buch-Tipp
Katajun Amirpur, Reinhard Witzke, "Schauplatz Iran", Herder Freiburg, ISBN 345105535