Das Unerfreuliche im Bild
Dokus im Zwielicht
Hubert Saupers preisgekrönter Dokumentarfilm "Darwin's Nightmare" mag vieles sein: wichtig und aufwühlend, packend und politisch, engagiert und provokant. Eines ist er nicht: sonderlich sympathisch. Dokumentarfilme sind das überhaupt selten. Liegt es am Genre?
8. April 2017, 21:58
Worum es in "Darwin's Nightmare" geht, dürfte sich herumgesprochen haben: um die Fischzucht im ostafrikanischen Viktoriasee und darum, dass dieselben Flieger, die die filetierten Fische nach Europa transportieren, auf dem Rückweg nach Afrika Waffen geladen haben.
Regisseur Sauper hat das detailliert recherchiert und sich dabei mehrmals auch persönlich in Gefahr begeben. In seinem Film lässt er - auch - jene Prostituierten und Piloten zu Wort kommen, die von den Verhältnissen wissen, und spart auch sonst nicht mit drastischen Details. Mag sein, dass es unter diesen Umständen nicht anders ging, aber für mich bekam der Film phasenweise etwas von jener männerbündisch verschwitzten Kumpanei-Atmosphäre, in der sich Waffenhandel nun einmal abspielt und die ja eigentlich kritisiert wird. Der Film erweist sich als von seinem Thema imprägniert - und das ist im Dokumentarfilm erstaunlich oft der Fall.
Denken wir nur an den größten Dokumentarfilm-Erfolg der letzten Jahre, an Michael Moores "Fahrenheit 9/11". War dieses Anti-Bush-Pamphlet nicht mehr als einmal nach demselben simplen Schwarzweiß-Denkmuster gestrickt, das Moore Bush vorwirft? Oder der Anti-McDonald's-Streifen "Super Size me", der vor einigen Monaten auch hier zu Lande lief: Blähte der Aufdeckerstolz den selbstbewussten Regisseur und Hauptakteur nicht mindestens so sehr auf wie die fetten Hamburger, die das Ziel seiner Attacke waren?
Leises Unbehagen beim Ansehen von Dokumentarfilmen ist kein Phänomen der Jetztzeit. Die Kontroversen um die frühen inszenierten Dokus eines Ulrich Seidl sind noch nicht vergessen, und ältere Filmfreunde erinnern sich - der künstlerische Kontrast zu Seidl ist mit bewusst! - sicher auch der unseligen "Mondo"-Filme, in denen das Regie-Duo Jacopetti/Prosperi in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts bizarre Scheußlichkeiten mit einer zynischen Kommentarsauce aneinandergeklebt hatten. Die Koyaanisqatsi-Serie setzte diesen Grundgedanken Jahrzehnte später im Grunde fort, nur ohne Kommentar und esoterisch verpackt.
Drei gute Gründe
Warum wirken so viele Dokumentarfilme auf den zweiten Blick so wenig sympathisch? Ein paar ungeordnete Thesen:
Erstens: Dokumentarfilme sind message movies, das heißt, sie wollen eine Botschaft unters Volk bringen, und das oft dringlicher als Spielfilme mit vergleichbarer Thematik. Das kann nerven.
Zweitens: Für einen Dokumentarfilm wird, außer bei Kubrick, ungleich mehr Filmmaterial belichtet als für einen Spielfilm - Drehverhältnisse von 50, ja 100 zu 1 sind keine Seltenheit. Umso zugespitzter und auf Bildwirkung bedacht wird dann montiert; das Grellste ist im Dokumentarfilm oft gerade gut genug, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Die Ausnahmen von dieser Regel fallen umso wohltuender auf: Es sind jene Dokumentarfilme, in denen die Kamera scheinbar teilnahmslos Wirkliches registriert. Der jetzt in den Kinos laufende Gerichtssaalfilm "10. Pariser Strafgericht - Momente von Verhandlungen" von Raymond Depardon ist dafür ein gutes Beispiel.
Drittens und letztens: Dokumentarfilme stellen meist unerfreuliche Sachverhalte in den Mittelpunkt - naturgemäß, wie Thomas Bernhard sagen würde. Die Dokumentationen, die sich nur dem schönen Schein der Dinge hingeben, fallen, von den "Nomaden der Lüfte" (zwei Stunden Zugvögel!) bis zu diversen Sport-"Dokus" in Zeitlupe und Gegenlicht, ohnehin rasch dem verdienten Vergessen anheim.
Was bleibt, sind die Schattenseiten dieser Welt - soziale Schieflagen, politisches Unrecht, historische Katastrophen. Das ist mitunter nicht angenehm anzusehen und mag ein Grund für das hier hinterfragte Unbehagen am Genre sein - wichtig und unverzichtbar ist es, wie der Dokumentarfilm selbst, allemal.
Mehr zu "Darwin's Nightmare" in oe1.ORF.at
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