Mathematik für Sonntagmorgen

Geschichten vom Risiko

"Von Chancen und Risiken“ handelt ein Beitrag in dem Buch "Mathematik für Sonntagmorgen". Fünfzig "Geschichten aus Mathematik und Wissenschaft", für die der Autor von der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften ausgezeichnet wurde.

Die Verbindung von fundiertem Wissen und anekdotisch-lockerem Plauderton konveniert und ist unaufdringlich lehrreich. Nicht zuletzt, weil Wissenschaft nicht immer tierisch ernst, sondern gelegentlich auch allzu-menschlich heiter und skurril wahrgenommen wird. Etwa in den familieninternen Rivalitäten der Mathematiker-Dynastie der Bernoullis (quasi ein "Dynasty" der Mathematik), oder den merkwürdigen Berechnungen der Ein- und Ausschaltjahre unseres Kalenders. Man fragt sich allerdings, warum im Buchtitel Mathematik und Wissenschaft getrennt aufscheinen müssen. Hat man Angst gehabt, dass sich die Mathematik allein schlechter verkaufen würde?

Die Lust am Risiko

Besonders aktuell ist der Einblick in das paradoxe Risikoverhalten, dem die meisten von uns in ihrem Alltag frönen. Der als "Kick" bezeichnete Adrenalinschub bei Tätigkeiten wie Bungee Jumping und anderen mehr oder weniger spektakulären Freizeitaktionen unserer Spaßgesellschaft mag ja die so genannte Risiko-"Freude" verständlich machen. Warum aber, so fragt sich der Autor George G. Szpiro, versichern Bürger ihren Hausrat gegen Einbrüche, gehen aber mit allwöchentlichem Lottoeinsatz und anderen Glückspielen freiwillig ein Risiko ein?

Die Royal Statistical Society in England hat das mathematischen Laien nicht ganz einfach vermittelbare statistische Risiko-Problem für so wichtig erachtet, dass sie gleich eine ganze Ausgabe ihres Journals "Statistics in Society" dem Thema gewidmet hat. Die "Risiken" der Wissenschaftsvermittlung erscheinen in diesem Fall aber leichter zu bewältigen, als unser alltäglicher Umgang mit Risiken, der äußerst zwiespältig bleibt.

"Verlustmöglichkeit bei einer unsicheren Unternehmung"

Die Wortbedeutungen von "Risiko" liegen nun einmal zwischen "Gefahr" und "Wagnis", beinhalten also eine aktive und passive Komponente und damit, so der Duden, die "Verlustmöglichkeit bei einer unsicheren Unternehmung". Wobei es überraschen mag, dass die Duden-Redaktion das Wort "Risiko" als eines von rund 50.000 Fremdwörtern der deutschen Sprache einstuft, was ihm zu einem durchaus symbolisch zu sehenden Eintrag im FREMD-Wörterbuch verholfen hat. Dort hat es zwischen "Rischi" (sanskr.; Seher und Weise der Vorzeit, denen man die Abfassung der Hymnen des Rigweda zuschreibt) und "Risi-Pisi" (bes. österr.: Risipisi; Reis mit Erbsen) vorerst ein sicheres lexikalisches Plätzchen gefunden.

Theoretisch lässt sich ein unsicheres Unterfangen ganz gut berechnen: "Man multipliziert bloß die befürchtete Schadenssumme mit der Wahrscheinlichkeit ihres Eintretens, und schon ist man in Besitz des Schlüsselwertes, der für Entscheidungen ausschlaggebend ist." Doch sind beide Faktoren, so die Erfahrung, nicht immer leicht zu beziffern und vielen Unsicherheiten unterworfen. Das gilt nicht nur für die Wahrscheinlichkeit, von einem herab fallenden Blumentopf getroffen zu werden.

Der nicht zu unterschätzende psychologische Faktor der Risikowahrnehmung trägt das seine dazu bei. Besonders ausgeprägt ist er natürlich beim Hasardieren im Glücksspiel. Aber auch beim Nicht-Wahrhaben-Wollen eines Katastrophen-Risikos, das wunsch- und verdrängungsgemäß möglichst weit weg sein und einen selbst nicht betreffen sollte. Was nicht erst in der globalisierten Welt unrealistisch geworden ist.

Risiko-Entscheidungen

Szpiro tut gut daran zu erinnern, dass auch wichtige politische Risiko-Entscheidungen (von der Energiepolitik bis zu strittigen Forschungsschwerpunkten) nicht nur von statistischen Kosten-Nutzen-Rechnungen, sondern auch von anderen Faktoren wie den "Launen der Volksmeinung" beeinflusst werden. Wobei auch "die" Medien in diesem Zusammenhang als "Risikofaktor" eigener Art anzusehen wären.

Vor diesem Hintergrund ist der Autor mit seinem bescheiden gehaltenen Fazit kein Risiko eingegangen: "Die Aufgabe der Statistiker ist es deshalb, Politikern und Managern die Mittel für gut fundierte Entscheidungen zu liefern". Das Winston Churchill zugeschriebene Zitat, wonach er nur den Statistiken glaube, die er selbst gefälscht habe, findet sich aber nicht in dieser Geschichte von "Chancen und Risiken".

Buch-Tipp
George G. Szpiro, "Mathematik für Sonntagmorgen. 50 Geschichten aus Mathematik und Wissenschaft", Neue Zürcher Zeitung, ISBN 3038231142.

Links
George Szpiro
Prix Média 2003 der Schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften
NZZ Buchverlag