Bezugsperson als Schlüssel zur Trauma-Heilung

Schicksal Kindheit

Kinder erleben Gewalt in ihren Familien, sind Missbrauchsopfer, wachsen als Waisen auf oder müssen schwere Krankheiten bewältigen. Wie kommen Kinder mit solchen Erlebnissen zurecht? Sind sie lebenslang gezeichnet von den traumatischen Erfahrungen?

Franz Resch und Luc Ciompi zu Folgen und Heilchancen

Wohl jedes Kind macht in seinem jungen Leben so manche negative Erfahrung. Manchmal jedoch gehen die negativen Erlebnisse über das gewohnte Auf und Ab des Lebens weit hinaus, es kommt zu tiefgehenden seelischen Verletzungen. So gibt es etwa Kinder, die unheilbar erkranken, Kinder, die Opfer von schweren Unfällen werden, oder Kinder, die Aggression, Krieg und Völkermord mit ansehen müssen. Auch sexueller Missbrauch ist für viele Mädchen und Jungen leider ein fast alltägliches Problem.

Tatort Familie

Die deutsche Bundesarbeitsgemeinschaft für Prävention und Prophylaxe gibt an, dass in Europa und in den USA jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder siebente bis achte Junge Missbrauchserfahrungen macht. Die meisten Opfer erleben den sexuellen Missbrauch dort, wo er am wenigsten vermutet wird: in den Familien oder in dessen Umgebung. Das ist auch ein Umfeld, in dem Kinder so manche andere traumatische Erfahrung machen: Gewalt, Alkoholismus, Tod eines Elternteiles, ja sogar Mord und Totschlag.

Frühe Verletzung - späte Störung?

Können Kinder solche traumatischen Erfahrungen überhaupt bewältigen, ohne seelischen Schaden für das spätere Leben zu nehmen? "Es gibt in diesem Bereich noch zahlreiche Wissenslücken", betont der ehemalige Direktor der Sozialpsychiatrischen Universitätsklinik Bern, Luc Ciompi. "Kein Zweifel: wenn Kinder schwere Traumata erleben - etwa Gewalt in der Familie oder sexuellen Missbrauch, dann sind sie statistisch gesehen in ihrer weiteren Entwicklung häufig schwer geschädigt. Es gibt jedoch zahlreiche Fälle, die genau das Gegenteil beweisen: Schwere Traumata der Kindheit werden so bewältigt, dass dieser Mensch gestärkt aus der Krise hervorgeht."

Was ein Trauma schwierig macht

Ob sich eine seelische Verletzung in der Kindheit auch für das spätere Leben negativ auswirkt, hängt nach Ansicht von Ciompi von mehreren Faktoren ab: von der genetischen Disposition, der Persönlichkeitsstruktur des Kindes, aber auch vom Entwicklungsstadium, in dem das Kind diese Verletzung erfährt.

"Traumata, die sich immer wieder ereignen, wirken sich schlimmer aus als Einzelereignisse. Also wer ständig Gewalt in der Familie erlebt, ist schlechter dran als jemand, der einmal einen Verlust erlebt", so Franz Resch, ärztlicher Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universitätsklinik Heidelberg. "Solange ein Kind eine Bezugsperson hat, mit der es Traumata verarbeiten kann, ist es weniger schlimm dran als wenn sich diese Person durch Übergriffe auf das Kind nicht mehr als Partner für das Kind anbieten".

So bemerkt man in den Kriegsgebieten und Krisenregionen dieser Welt immer wieder, dass Kinder über Kriegserlebnisse oder Naturkatastrophen dann ganz gut hinwegkommen, wenn der Familienverband intakt bleibt.

Vertrauen heilt

Eine Bezugsperson ist auch der Schlüssel zur Heilung seelischer Verletzungen. Luc Ciompi: "Mit einer Person über das Trauma reden zu können schafft die besten Voraussetzungen, darüber hinwegzukommen. Das kann ein Freund oder eine Freundin sein, der Partner oder auch jemand, der professionelle Hilfe anbietet. Jedenfalls jemand, zu dem die verletzte Person großes Vertrauen hat."

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