Robert Menasse
Die Zähmung der Globalisierung
Michael Kerbler und Claus Philipp befragten den österreichischen Schriftsteller über seine Rolle als aufmerksamer Zeitgenosse mit kritischem Blick. Welche Konflikte wird das 21. Jahrhundert prägen, wenn das neue Modell "Shareholder versus Attac" lautet?
8. April 2017, 21:58
Robert Menasse über Zeitgenossenschaft
Michael Kerbler: Glauben Sie, dass es im 21. Jahrhundert eine gesellschaftliche Idee geben wird, die eine Alternative zum Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form bieten wird?
Robert Menasse: Davon bin ich hundertprozentig überzeugt, und zwar aus einem simplen Grund, den ich den "kopernikanischen" nenne: Die Welt ist rund. Und weil die Welt rund ist, wird es unzweifelhaft zu dem Punkt kommen. Es ist einfach deshalb, weil dieses System, auf das sich jetzt alle geeinigt haben - und die, die sich nicht darauf geeinigt haben, werden niedergebombt - davon lebt, dass es sich immer weiter ausdehnt.
Das System erobert immer neue Märkte, immer neue Kontinente und Länder und wächst. Und die Welt ist rund. Und das System wächst und wächst. Wenn das jetzt kracht, dann werden alle, die jetzt mitmachen, freudig mitmachen, wenn es heißt, das soll nie wieder geschehen dürfen.
Der Konflikt des 21. Jahrhunderts
Bislang hat dieses Modell - auf der einen Seite die Bourgeoisie, auf der anderen die Arbeiterklasse als gegensätzliche Kräfte - funktioniert. Das ist weggefallen. Wir stehen im 21. Jahrhundert. Gilt jetzt das neue Modell, bei dem auf der einen Seite die Shareholder stehen, und auf der anderen eine Initiative à la "Attac"? Ist das der Konflikt im 21. Jahrhundert?
Ich bin überzeugt davon, dass der Konflikt Christentum - Islam, oder westliche Zivilisation und Islam, ein klassischer Nebenkriegsschauplatz ist. Man muss sich nur vorstellen, in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts sitzen weise islamische Menschen in einer islamischen Gelehrtenschule, und die sagen dann nur am Beispiel der Attentate der Roten Armee Fraktion, "seht ihr, so sind die Christen, die Kinder der Protestanten."
Der Konflikt ist der zwischen den Globalisierungsgewinnern und den Globalisierungsverlierern, das hat mit Religion überhaupt nichts zu tun. Das wird sich früher oder später zuspitzen. Und ich glaube, dass "Attac" deshalb so eine interessante Organisation und Organisationsform ist, weil das die erste politisch wirksame Organisation ist, in der sich Menschen verschiedenster sozialer und gesellschaftlicher Herkünfte treffen, Menschen verschiedenster Qualifikation und Ausbildung, die aber eines gemeinsam haben: Ihre jeweilige Qualifikation in den Versuch einbringen, diese Globalisierung zu zähmen. So wie der Kapitalismus gezähmt werden musste.
Wenn man Manchester-Kapitalisten gefragt hätte, "sag einmal, meine lieber Unternehmer, was brauchst du, um den Standort hier zu halten und wettbewerbsfähig zu sein?, hätte er geantwortet: "Kinderarbeit, Zwölfstundentag, ganz klar - wenn ich das nicht habe, bin ich nicht wettbewerbsfähig." Es hat doch kein Mensch gesagt, "wir brauchen Kinderabeit", sondern es kam zum Verbot der Kinderarbeit, zum Achtstundentag, zur Ausweitung des Urlaubs usw. Und dann haben sie versuchen müssen, innerhalb der immer enger gesteckten zivilisatorischen Grenzen immer kreativer zu werden.
Wenn nicht das Primat der Politik über die wirtschaftlichen Interessen gesiegt hätte, oder durchgesetzt worden wäre, hätten wir heute noch Kinderarbeit. Wie können nach dieser Erfahrung am Beginn des 21. Jahrhunderts regierende Kanzler europäischer Länder - also von entwickelten Sozialstaaten - auf einmal sagen, "wir müssen Unternehmer fragen, was sie brauchen -und das machen wir dann zum Gesetz"? Und dann sagt VW, "wir wollen keine Steuern mehr zahlen". Und Siemens sagt, "Wir wollen auch keine Steuern mehr zahlen" - und jetzt zahlen die keine Steuer. Und dann heißt es, der Sozialstaat ist nicht mehr finanzierbar. Ist ja kein Wunder.
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