Der Amateur als Motivationsprofi

17. Marathon

Die olympische Marathonstrecke von 42,195 Kilometern ist für einen Hobbyläufer eine enorme körperliche Belastung. Und wenn der Kopf nicht mitläuft, nützen auch die besten Beine nichts. Die seltsamsten Motivationsgedanken spuken da während eines Laufs im Kopf herum.

Da das richtige Marathonlauftempo jenes ist, bei dem man sich noch unterhalten kann, kommt es vor, dass man gelegentlich ein paar Motivationstricks von unmittelbaren Konkurrenten aufschnappen kann. Hier also ein kurzer Auszug aus einem Dialog zweier Motivationskünstler der Hobbyläuferszene. Länger konnte ich den Anschluss nicht halten.

Läufer 1: Die ersten Kilometer laufe ich immer in historischem Bewusstsein. Ich stelle mir vor, dass ich eine wichtige Botschaft zu überbringen habe.

Läufer 2: Wie der Grieche Pheidippides, der 490 vor Christus von Marathon nach Athen lief, um die Nachricht vom Sieg seines Volkes über die Perser zu melden?

Das Internet und die Telefonleitungen sind zusammen gebrochen, ich muss von Mödling nach Wien laufen, um zu berichten...

...dass die Austria gegen Mödling im österreichischen Fußball-Cup ausgeschieden ist.

So ähnlich. Das spornt mich irgendwie an. Etwas bedeutungsvoller ist die Botschaft in meiner Vorstellung aber schon.

Klingt irgendwie anachronistisch und ungesund. Der Bote Pheidippides brach nach seinem historischen Lauf tot zusammen.

Eine Legende.

Die kürzlich vom texanischen Astronomen Donald Olson einen Monat nach vor datiert wurde. Pheidippides hechelte nicht im September, sondern im heißen August nach Athen. Vermutlich traf ihn dann ein Hitzeschlag.

Kann mir nicht passieren. Alle 20 Minuten trinke ich 200 Milliliter einer sechsprozentigen Kohlenhydratlösung, meine Glykogendepots habe ich vor dem Start zum Bersten voll gemacht.

Spagetti zum Frühstück, Tagliattelle zu Mittag und Penne am Abend. Pheidippides aß vermutlich zu viel fetten Ziegenkäse vor seinem Lauf.

Und von leistungsdiagnostischen Tests vor dem Start hatte er auch noch keine Ahnung. Meine aeroben und anaeroben Laktatwerte sind jedenfalls optimal.

Herz- und Pulsfrequenz wurden für dein individuelles Renntempo am Laufbandergometer ermittelt?

Natürlich. Mein Atemäquivalent ist übrigens auch besser geworden. So viel Sauerstoff pro Liter Luft haben meine Lungen noch nie aufgenommen. Mein Leistungsdiagnostiker meint, ich darf heute mit einer persönlichen Bestzeit rechnen.

Wenn nicht bei Kilometer 30 der mentale Einbruch kommt.

Ich habe psychisch vorgesorgt. Für diesen Fall schlüpfe ich aus der Botenrolle des Pheidippides in jene des Autors Alan Sillitoe.

Du meinst in den Erzähler von "Die Einsamkeit des Langstreckenläufers“?

Richtig. Habe zentrale Passagen des Buches auswendig gelernt. (Zitiert.) "Jetzt kann ich den Lärm und die Musik vom Sportplatz hören, wie ich wieder auf die Flaggen und die Zufahrtsstraße lossteuere mit dem frischen, neuen Gefühl, Kies unter den Füßen zu haben, das bis in die eisernen Beinmuskeln geht. Ich bin auch nicht annährend ausgepumpt, trotz dem Sack Nägel, der noch genauso rasselt, und ich kann immer noch einen großen letzten Sprung wie ein Sturmwind machen, wenn ich will, aber ich habe mich ganz in der Gewalt und weiß jetzt,...

...dass es in England keinen Langstreckengeländelaufläufer gibt, der an mein Tempo und meinen Stil rankommt.“ Kenn’ ich natürlich auch.

Mit Sillitoes atemloser, vulgärphilosophischer Prosa werde ich jedes psychische Loch überspringen.

Läufer 2: Da bin ich skeptisch. Sein Held läuft ja nur, weil er ständig vor der Polizei flüchten muss und später aus einer Jugendhaftanstalt ausbrechen will. Beim Marathonlaufen geht es nicht um das Weglaufen, sondern um das Ankommen.

Läufer 1: Und Ankommen werde ich diesmal, dafür sorgen ganz zum Schluss die Endorphine. Ich habe da vollstes Vertrauen in meinen Körper. Er wird den Turbo der Glückshormone im richtigen Moment zünden.

In welcher körperlichen und psychischen Verfassung die beiden Läufer den Marathon beendet haben, ist mir nicht bekannt. Nach 15 Kilometern musste ich wie üblich das Rennen vorzeitig aufgeben. Irgendwann einmal aber werde auch ich, ob als Legenden umwobener Bote oder als literarische Figur, einen Marathon finalisieren. Vielleicht werden aber auch nur meine Glückshormone die Ziellinie passieren. Das wäre zumindest ein Teilerfolg.

Text: Armin Stadler ist Redakteur und Beitragsgestalter im Wissenschafts-Ressort von Ö1. Die ersten Kontakte mit der Sportart Laufen machte er - als jüngerer Bruder einer Schwester - im Davonlaufen. Später setzte er dieses Training in einer kurzen Karriere als Amateurfußballer um, die allerdings verletzungsbedingt abgebrochen werden musste. Die traumatische Nähe zum Laufen ist allerdings geblieben.

Links
Athen 2004
ORF.at - Spiele 04
Auch der schnöde Mammon lockte
Olympische Spiele in science.ORF.at
Österreichisches Olympia und Sport Museum