Erinnerungen eines Micky-Maus-Lesers

Entenhausen, USA

Truthahn, Termiten, Trillionäre - Peter Lachnit kannte all das aus der regelmäßigen Lektüre der Micky-Maus-Hefte, jeden Donnerstag erworben um fünf Schilling und 50 Groschen. Als er, Jahre später, das erste Mal in den USA war, konnte er prüfen, ob es dort wirklich so war.

Amerika habe ich schon lange gekannt, bevor ich das erste Mal dort gewesen bin. Ich kannte die Welt der Vorstädte, die kleinen Häuser mit ihren rasenmähenden Bewohnern und den fähnchenbestückten Briefkästen vor der Gartentür. Ich wusste, dass diese Häuser meist aus leichtem Material erreichtet werden und stetig von zwei Seiten bedroht sind: von oben durch Hurricans, den so genannten "Windhosen", und von Spechten, die Löcher in die Außenwände zu hacken pflegen - und von unten durch Termiten, die die hölzernen Bohlen auffressen.

Ich kannte die Straßen der Städte mit ihren freistehenden Telefonmasten und die Farmen mit ihren Schaukelstühlen auf den Holz-Veranden. Ich hatte die Nationalparks gesehen, in denen die letzten Reste von Natur eingezäunt und von Waldhütern bewacht werden, die streng darauf achten, dass niemand dort ein Lagerfeuer anzündet. Ich wusste, dass man zum Frühstück Pfannkuchen und zu Weihnachten Truthahn isst und dass die Bewohner in ihrer Freizeit gerne zum Angeln gehen.

Durch Gemeinheit zum Trillionär

Ich hatte aber auch bemerkt, dass man in diesem Land ziemlich leicht zu Waffen kommen kann, dass Angestellte leicht gefeuert werden können, dass Immobilienmakler krumme Hunde sind und dass man es dort vom Besitzer eines einzigen Talers zum Trillionär bringen kann, wenn man sich nur genügend gemein anstellt.

Ich kannte all das aus der regelmäßigen Lektüre der Micky Maus-Hefte, jeden Donnerstag erworben um 5 Schilling und 50 Groschen. Und als ich, viele Jahre später, das erste Mal in den USA war, sah ich, dass es wahr war.

Geblümte Vorhänge

Die Einfamilienhäuser in den Suburbs waren wirklich meist nur eingeschossig, sie hatten geblümte Vorhänge und einen offenen Kamin, vor dem die Bewohner auf freistehenden Sofas saßen und in den Fernseher schauten. Manche Häuschen hatten auch noch ein Obergeschoss, und über eine inwendige Holztreppe mit gedrechseltem Geländer gelangte man so zum oben liegenden Schlafzimmer.

Die Fenster öffnete man tatsächlich, indem man sie nach oben schob, und die Zimmertüren hatten keine Klinken, sondern runde Knäufe, die man drehen musste. In den Küchen standen überdimensionierte Kühlschränke mit einem großen Griff, und bei den Waschbecken waren die Hähne für kaltes und warmes Wasser getrennt, so wie ich das von Tick, Trick und Track kannte, die ja im Duck’schen Haushalt stets das Geschirr abwaschen mussten.

Rote Hydranten

Am Wochenende waren die Innenstädte in der Tat genauso menschenleer wie in jenen Geschichten, in denen die Panzerknacker das Weekend zum Ausrauben der Banken benutzten - oder das zumindest versuchten. Die Banken hatten auch genauso pompöse Eingangshallen wie jene in Entenhausen. Die Hydranten am Straßenrand waren rot, man durfte sein Auto auch ja nicht daneben abstellen; und die Reichen waren wirklich in überlangen Limousinen mit livrierten Chauffeuren oder in ihren Privatflugzeugen unterwegs.

Die Verkehrszeichen waren schwarz-gelb und sahen anders aus als bei uns, es gab wie in Entenhausen nahezu kaum öffentliche Verkehrsmittel, und in den heruntergekommenen Stadtvierteln existierten auch die Katzen, die auf den Mülltonnen saßen und Fischreste verzehrten.

Nicht alles wie bei Disney

Doch dann bemerkte ich auch, dass manches nicht mit dem Leben übereinstimmte, das sich mir auf den wöchentlichen 36 Seiten des Disney’schen Magazins dargestellt hatte. Ich fand no-go-areas, also Stadtteile, die man meiden sollte, ich fuhr durch metastasenhafte Shopping-Malls entlang der Ausfallstrassen und stand auf 16-spurigen Autobahnen im Stau. In Entenhausen hingegen waren die Strassen immer relativ leer gewesen, nur ab und zu fuhr ein Auto oder ein Lastwagen vorbei, und einen Parkplatz bekam man überall dort, wo man ihn gerade brauchte.

Und, noch wichtiger: In dem Amerika, das ich nun besuchte, gab es Menschen mit anderer Hautfarbe, Latinos und Schwarze. Die hatte ich bei den Ducks nur gesehen, wenn Onkel Dagobert wieder einmal an den Jumbo-Mumbo-Fluss oder nach Bananamaria gereist war, um dort den Medizinmann Wudu-Hudu zur Rechenschaft zu ziehen oder auf seiner Kaffeeplantage darauf zu achten, dass die Kaffeepflücker ja nicht zu lange Kaffeepausen machten.

Schlafen in Kartons

Ich wohnte in Stadtvierteln, wo mir geraten wurde, nie zu schlendern, sondern stets festen Blicks und schnellen Schritts unterwegs zu sein und nur wenige Dollars bei mir zu tragen. Ich sah Menschen, die ihre gesamte Habe in einem Einkaufswagen mit sich führten und auf der Strasse auf Kartons schliefen, und ich sah auffallend viel "weird people", also psychisch gestörte Leute, die gestikulierten und laut schrieen.

Wer krank wurde, konnte sich nicht immer eine medizinische Behandlung leisten, und jeden Tag las ich in der Zeitung von Schiessereien - damals war gerade das "freeway shooting" angesagt, also das Beschießen von Autos beim Überholen auf den Autobahnen. All das kannte ich aus Entenhausen nicht. Sollte also der Staat Calisota, in dem Entenhausen bekanntlich liegt und den ich in meiner Kindheit so genau kennen gelernt hatte - sollte sich dieser Staat am Ende also doch nicht in den USA befunden haben?

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 22. September 2007, 17:05 Uhr

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