Gustave Flaubert entlarvt die Intellektuellen

Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit

Flaubert wollte mit seiner Sammlung ganz alltäglicher Dummheiten nicht nur seine Zeitgenossen als intellektuelle Schwachsinnige entlarven, sondern seine Zeit als Epoche der Dummheit beschreiben. Vor allem aber geht es ihm um das menschliche Spiel von Dummheit und Wahrheit.

Man kann von einem Hyperrealismus der Lächerlichkeit sprechen, den Gustave Flaubert in seinem unvollendet gebliebenen Roman "Bouvard und Pécuchet" in Szene gesetzt hat. Seine beiden Helden sind von Beruf Schreiber, und als einer von ihnen eine Erbschaft macht, beginnt ihr großes Abenteuer: Sie suchen die Wahrheit - und scheitern dabei auf ganzer Linie. Sie suchen das wahre Leben - und scheitern. Sie treiben Gymnastik, Okkultismus, Philosophie, Politik, sie rezitieren wochenlang Literatur, werden religiös - und scheitern. So beschließen sie wieder Schreiber zu werden. Sie schreiben buchstäblich alles ab, was ihnen unter die Finger kommt.

So hatte sich zumindest Gustave Flaubert das Ende seines Romans ausgedacht, während er beim Verfassen dieser Schlusskapitel am 8. Mai 1880 verstarb. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Denn in vielen Briefen sprach Flaubert auch von einem zweiten Band von "Bouvard und Pécuchet", der weitgehend nur noch aus Zitaten bestehen sollte - eben aus dem, was seine beiden Helden als lebende Schreibmaschinen abschreiben. Und Flauberts Fundus war enorm. Denn jahrzehntelang hatte er solche Zitate gesammelt und dieser Sammlung wurde der Titel "Sottisier" gegeben. Wenn "sottise" Dummheit bedeutet, dann ist der "Sottisier" eine Sammlung von Dummheiten. Flaubert hat in so manchem Brief nicht verhehlt, was ihn bei seiner schon fast pervers enzyklopädischen Arbeit antrieb. Einmal schrieb er:

Ich verschlinge Druckseiten und mache mir Notizen für ein Buch, in dem ich meine Galle auf meine Zeitgenossen auszuspeien versuchen werde. Diese Kotzerei wird mich wohl mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Herr und Hund

Flaubert will nicht nur seine Zeitgenossen als intellektuelle Schwachsinnige entlarven, sondern sein eigenes Jahrhundert als Epoche der Dummheit beschreiben. Aber: Ist man nicht heute von so viel Dummheit umgeben, dass es einem ungeheuerlichen Masochimsus gleich käme, würde man noch Flauberts gesammelte Dummheiten des 19. Jahrhunderts auf seine Schultern laden? Da Flaubert ein Spezialist auf diesem Gebiet ist, weiß er sehr wohl, verschiedene Formen von Dummheit zu unterscheiden.

Die Universalenzyklopädie beginnt sogar mit einer ganz schön dreisten Dummheit.

Madame CORA CHARDON, geborene CORA DESGRANGES, ist glücklicherweise mit einem Rüden und drei Hündinnen niedergekommen.
Mutter und Kinder sind wohlauf.
Monsieur DICK CHARDON hat die Ehre, Sie davon in Kenntnis zu setzen.


Aus dieser Geburtsannonce von 1863 lässt sich zumindest eines ableiten: Die Familie ist nicht nur Keimzelle des Staates, sondern auch ein intimer Hundezüchterverein. Genau das macht Flauberts Universalenzyklopädie so interessant: Hinter der menschlichen Dummheit lächelt die Fratze einer ungeschminkteren Wahrheit.

Hart an der Grenze

Flaubert geht es in seiner Universalenzyklopädie um das menschliche Spiel von Dummheit und Wahrheit. Wie schon im Roman "Bouvard und Pécuchet" führt er seine Leser in viele Bereiche des Wissens ein: Landwirtschaft und Naturwissenschaft, Politik und Journalismus, Literatur und Philosophie, Geschichte und Religion und vieles mehr.

So besagt Flauberts "Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit" auch Folgendes: In einer Epoche, in der das Wissen in beängstigender Schnelligkeit zunimmt und als Wahrheit gedruckt jedermann zur Verfügung steht, nimmt auch die Dummheit mit großer Rasanz zu. Und wer würde das heute bestreiten, im Zeitalter des hemmungslosen Konsums von Wissen via Internet? Jedoch: Dies ist noch immer nicht die ganze Wahrheit. Flaubert notiert auch den an sich unscheinbaren Satz eines Juristen. Er lautet:

Sobald ein Franzose die Grenze überschritten hat, betritt er fremdes Gebiet.

Dieser Satz ist saudumm, aber er ist es deswegen, weil er wahr ist. Dieser Satz ist nach den Regeln der Logik eine Tautologie: Er ist immer wahr, besagt aber eigentlich dummes Zeug. Gleichwohl ist die Tautologie wichtiger Bestandteil des logischen Denkens. Das heißt aber auch eines: Der Mensch denkt notwendigerweise dummes Zeug. Mit dieser Wahrheit entlässt Gustave Flaubert seine Leser ins 21. Jahrhundert, das nach den Regeln der Logik eine Epoche der Dummheit sein wird.

Buch-Tipp
Gustave Flaubert, "Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit", übersetzt von Hans-Horst Henschen, Eichborn Verlag, ISBN: 3821807393