Eine differenzierte Sicht auf Marx
Marx für Eilige
Good old Karl ist tot. Ganz tot? Nicht ganz. Es gibt noch Robert Misik. Der Wiener Publizist schreitet in seinem jüngsten Buch zur Ehrenrettung des philosophischen Rauschebarts aus Trier, der Hegel auf die Füße und die Welt auf den Kopf gestellt hat.
8. April 2017, 21:58
Keine Frage, Marx war auch schon schicker! Seit dem trostlosen Crash des realen Sozialismus, seit der rapide fortschreitenden Geriatrisierung der Studentenbewegung scheint der alte Karl keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. In Österreich war es Konrad-Paul Liessmann, der 1992 mit seiner Agitationsschrift "Karl Marx - Man stirbt nur zweimal" den wohl elegantesten Abgesang auf den Stammvater des dialektischen Materialismus' angestimmt hat.
Marx' glanzvolle Einsichten und peinliche Fehlprognosen
Was bietet der 38-jährige, in Wien lebende Publizist Robert Misik in seinem Buch? Zunächst eine gut verständliche Einführung in das Marxsche Denken, dann aber auch eine kritische Revision der Marxschen Thesen, die neben glanzvollen Einsichten halt auch allerhand peinliche Fehlprognosen unter die Leute gebracht haben.
Etwa die These, dass die Arbeiterklasse in Europa unvermeidlich verarmen und verelenden werde, wobei die radikalen Marxisten ihre Rechnung ohne den sozialdemokratischen Reformismus gemacht hat, der den Proletariern aller Länder - zumindest zwischen Malmö und Manchester - ihren gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum gesichert hat.
Was hätte Marx dazu gesagt?
Im Titel "Marx für Eilige" drückt sich eine gewisse spätkapitalistische Gehetztheit aus, ein nicht ganz unproblematischer Hang zu flappsiger Zuspitzung. Was hätte wohl Karl Marx zu diesem Titel gesagt?
"Karl Marx hätte ihn sicher nicht goutiert," sagt Misik, "wobei man annehmen kann, dass er sich zu später Stunde bei einem Glas Schnaps..."
Marx als "offener Denker"
Was kann man nun aus den Marxschen Schriften über die globalisierte Wirklichkeit von heute lernen? Eine ganze Menge, findet Robert Misik. Schon im "Kommunistischen Manifest" stößt man auf verblüffend hellsichtige Passagen, in denen Marx die alles niederreißende, die Grenzen mühelos überwindende Gewalt des Kapitals feiert und zugleich vernichtend kritisiert. Für Robert Misik hat die Marxsche Ökonomiekritik bis heute nichts an Prägnanz eingebüßt.
Ob Marx tatsächlich der "offene Denker" war, als den Misik ihn feiert, darüber kann man geteilter Meinung sein. Von Popper bis Sartre, viele Kritiker des Marxismus haben im Marxschen Denken einen doktrinären, einen letztlich "geschlossenen" Zug geortet. Und tatsächlich, wer sich in die Marxschen Schriften vertieft, wird bei aller Brillanz, die da Zeile für Zeile spürbar wird, eine gewisse höhnische Militanz nicht überhören können.
Eine differenzierte Sicht der Dinge
Robert Misik bemüht sich um eine differenzierte Sicht der Dinge. Unrettbar veraltet, das räumt auch er ein, ist Marx in seiner deterministischen Sicht auf die Geschichte, in seinem undifferenzierten Fortschrittsoptimismus. Dass der Sozialismus von selbst kommt, egal, wie sich die kämpfenden Klassen verhalten, diese Hypothese lässt sich schon lange nicht mehr aufrecht erhalten, meint Robert Misik. Auch Marx selbst scheint seine deterministischen Überzeugungen nicht immer ernst genommen zu haben.
Das Ende der philosophischen Kathedralen-Baumeister
"Über den alten Marx", so hat Hans Magnus Enzensberger unlängst räsoniert, "über den alten Marx mag man denken, was man will, aber seine Analyse der Globalisierung war genial."
Die Ära der philosophischen Kathedralen-Baumeister, der systematischen Großtheoretiker scheint bis auf weiteres vorbei. Das weiß auch Robert Misik, obwohl er da und dort hoffnungsvolle Neuansätze sieht, die globalisierte Unrechtsgesellschaft des 21. Jahrhunderts auch philosophisch auf den Begriff zu bringen.
Was Opa Karl so von sich gegeben hat
Wer fürchtet sich vor Karl Marx? Robert Misik ganz bestimmt nicht. Der 38-jährige hat ein flottes Büchlein geschrieben, eine kompetente Einführung ins Marxsche Denken, für philosophische Blitzgneisser und gestresste Politologie-Studenten genauso interessant wie für globalisierungskritische Twens, die immer schon einmal wissen wollten, was Opa Karl eigentlich so von sich gegeben hat.
Buch-Tipp
Robert Misik, "Marx für Eilige", Aufbau Verlag, Berlin 2003, ISBN 3746619459