Libretti, die nach Musik schreien
Puccinis Librettist
Was haben Puccinis "Tosca", Franchettis "Germania", Giordanos "Andrea Chenier" und Mascagnis "Isabeau" gemeinsam? Den Librettisten Luigi Illica. Ein italienischer Literat, dessen Lebensgeschichte selbst zum Opernstoff taugen würde.
8. April 2017, 21:58
Wer die Briefe von Giacomo Puccini liest, staunt. Nicht die Musik bereitete ihm bei seinen Opern das größte Kopfzerbrechen, sondern die Texte. Von "Manon Lescaut" bis "Madama Butterfly" gehörte Luigi Illica zu Puccinis Librettisten, ein italienischer Literat, dessen Lebensgeschichte selbst zum Opernstoff taugen würde - vom Bohémien-Leben bis zum einen Auge, das Illica in einem Duell um eine Geliebte verlor.
Als junger Mann lief Luigi Illica von zu Hause weg, ging zur Marine, kämpfte gegen die Türken, und ließ sich danach in Mailand nieder, um dort bald in Literatenkreisen bekannt zu werden, als ein sehr "bunter Vogel". Er war überzeugter Republikaner, ein Parteigänger des Dichters Giuosuè Carducci und sein Mitarbeiter bei einer radikalen Literaturzeitschrift. Und er begann Theaterstücke zu schreiben, teils in Mailänder Dialekt.
Ausbund wüster Melodramatik
Sein erstes Libretto verfasste er 1889, für einen Musiker, der heute so gut wie vergessen ist, außer in seiner Heimat Istrien: Antonio Smareglia. "Il vassallo di Szigeth" hieß das Werk, dem der Ruf anhängt, ein Ausbund wüster Melodramatik zu sein. Mehrfach war Illica auch später noch Mitarbeiter des von Brahms geschätzten, in Wien genauso wie in Dresden und New York gespielten Smareglia, unter anderem bei dessen namentlich bekanntester Oper, der "Istrianischen Hochzeit", "Nozze Istriane".
Wie viele Libretti Luigi Illica (1857-1919) insgesamt verfasste, darüber gehen die Lexika-Meinungen auseinander - 35 oder doch 80? Vielleicht erklärt sich die Diskrepanz daraus, dass natürlich auch Texte für Komponisten darunter sind, die man heute überhaupt nicht mehr kennt - und problematische Texte obendrein.
Nackt durch die Stadt
Wer wollte einen Regisseur und eine Titelrollen-Sopranistin in die Verlegenheit bringen, eine Szene wie die folgende auf die Bühne zu bringen, in Pietro Mascagnis "Isabeau"? Die keusche Tochter eines alternden Königs im legendenhaften Mittelalter soll verheiratet werden, ein Liebesturnier wird ausgeschrieben, doch die Jungfräuliche versagt sich dem Sieger - worauf der König sie dazu verurteilt, um zwölf Uhr Mittag nackt durch die Stadt zu reiten, um ihren Stolz zu brechen.
So geschieht es: Bei Todesstrafe wird verboten, dass irgendwer sonst auf der Straße ist oder auch nur ein Fenster geöffnet hält, aber Folco, Tenor und in Isabeau vernarrt, lässt sich dadurch nicht abhalten, durchbricht alle Sperren und schmückt Isabeau mit Blumen. Was hat sich Luigi Illica da nur einfallen lassen an Handlung!
"Manon Lescaut" fertig gestellt
Das endlos geschundene und nicht und nicht fertiggestellte Libretto von Puccinis "Manon Lescaut" hat Luigi Illica zu Ende gebracht, um dann aber nobel auf die Nennung seines Namens als Co-Autor zu verzichten. Wenn Puccini später mit "Tosca" einen Welterfolg landete, geschah das mit einem Textbuch, das Illica an sich für den reichen, nicht fürs Verdienen komponierenden Alberto Franchetti geschrieben hatte. (Ähnliches wiederholte sich bei Umberto Giordano, dessen "Andrea Chenier" von Illica für Franchetti getextet war, in der Wortwahl schlicht, aber schreiend nach Musik.)
Die dennoch heftig geführten Wortwechsel zwischen Puccini und Illica sind legendär, und dass die Auseinandersetzungen oft auch schriftlich geführt wurden, macht uns Nachgeborenen einen faszinierenden Blick in die Werkstatt möglich. Wie hätte etwa die Klagearie des Cavaradossi samt nachfolgendem Quartett im zweiten "Tosca"-Akt klingen können, von Illica vorgesehen, von Puccini verweigert?
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 10. Mai 2007, 15:06 Uhr
Link
Castell' Arquato - Museo Luigi Illica