Geschichten wie ein kubistisches Gemälde

Liebe heute

Maxim Biller befasst sich in seinem neuen Buch mit der Liebe in all ihren Spielarten. In seinen Erzählungen geht es um Begegnungen und Abschiede, um lebenslange Leidenschaften und kurze Affären, um Hoffnungen, Enttäuschungen und Sehnsüchte.

Maxim Biller befasst sich in seinem neuen Buch mit einem uralten Thema: nämlich mit der Liebe in all ihren Spielarten. Da telefoniert ein Mann auf einer Hotline mit einer Frau, um schließlich herauszufinden, dass sie ihn besser kennt als ihm lieb ist, da versucht ein Reisender sein Glück bei einer Frau in einer Hotelbar, aber sie geht auf die Damentoilette und kommt nicht wieder, da scheitert eine Beziehung, weil eine Frau wegen ihrer Depressionen Medikamente nimmt, die ihre Libido beeinträchtigen:

Er stand schnell auf und ging zur Tür, und er dachte daran, wie er vor drei Wochen im Zug von Krakau nach Berlin gesessen hatte - er saß in seinem Abteil, lehnte erleichtert den Kopf gegen die kühle Fensterscheibe und schwor sich, nie wieder wegzufahren, denn er hasste es, nicht zu Hause zu sein. Als er dann in Berlin ankam, noch am Bahnhof, war er plötzlich traurig darüber, nicht mehr in Krakau zu sein. Ljubljana würde ihm bestimmt auch bald fehlen, dachte er jetzt, während er auf den langsam trocknenden Bürgersteig hinaustrat, die Frau, die er dort besucht hatte, nicht.

Spiel mit den Schattenseiten

Ein feiner, melancholischer Unterton schwingt bei all diesen Geschichten mit: Maxim Biller spielt mit den Schattenseiten der Liebe, führt den Leser quer durch Europa, durch Paris oder Hamburg, Berlin oder Prag, und findet überall Leidenschaft und Verlust, Träume und oft vergebliche Erwartungen. Für ihn selbst war die Arbeit an seinem Buch ein Weg, sich dem Phänomen der Liebe auf seine Weise anzunähern.

Es ist ein altes und oft strapaziertes Thema, das Maxim Biller behandelt, ein Thema, mit dem sich in allen Jahrhunderten Literaten, Musiker und Maler auseinandergesetzt haben und das dennoch nichts von seiner Strahlkraft verloren hat: "Natürlich haben vor mir viele andere, Hunderte, Tausende Autoren über die Liebe geschrieben, wenn wir Glück haben, habe ich etwas gemacht, was einen Tick anders ist als das, was die anderen gemacht haben."

Dazu hat Maxim Biller in seinen Erzählungen auch eigene Erfahrungen verarbeitet, allerdings in veränderter Form. Vor allem zwei Geschichten gehen ihm selbst nahe - Geschichten, in denen die Protagonisten einander durch die Jahre immer wieder treffen, aber dennoch nie richtig zusammenkommen können: "Das ist ein bisschen so Harry und Sally, glaube ich, so eine lange, lebenslange Geschichte."

Ein vielschichtiges Ganzes
Im Gegensatz zu anderen Erzählbänden, die oft nebenbei entstehen, hat Maxim Biller sein Buch regelrecht komponiert. Über zweieinhalb Jahre hinweg schrieb er nur Short Storys.

Das Ergebnis ist ein Buch, das in sich geschlossen ist, in dem die einzelnen Geschichten letztlich ein komplexes Ganzes ergeben und das sich damit durchaus von ähnlichen Vertretern der Gattung abhebt: "So ein Short-Story-Band ist wie so ein kubistisches Bild, man betrachtet ein und die gleiche Sache aus vielen verschiedenen Perspektiven. Und ich will jetzt nicht 27 Romane schreiben. Sondern ich will 27 kurze Blicke werfen auf diese Sache, die so komplex dann sind, die zusammen wiederum einen Roman ergeben."

Das alte Lied
Und so wirft Biller kurze Schlaglichter auf verschiedene Arten der modernen Liebe, die vielleicht schwieriger ist als jene vergangener Jahrhunderte, vielleicht gefährdeter, aber auf jeden Fall ebenso poetisch, leidenschaftlich, schön und schmerzvoll. Eben diese Erkenntnis will der Autor seinem Leser vermitteln.

Aber hat Maxim Biller nun selbst neue Erkenntnisse über die Liebe gewonnen? Hat er ihr Geheimnis entschlüsselt, hat er die verschiedenen Varianten der Liebe durchschaut? Wohl kaum. Die Liebe bleibt zum Glück ein Mysterium, für Biller wie für den Leser, aber eben ein Mysterium, dem wir alle immer wieder gern verfallen: "Es ist alles halb so wild, aber ich weiß, wenn ich das nächste Mal reinrassle, wird es wieder genauso anstrengend oder schön, furchtbar, kitschig oder tragisch sein wie immer."

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Maxim Biller, "Liebe heute. Shortstories", Kiepenheuer und Witsch 2007, ISBN 9783462037029

Link
Kiepenheuer und Witsch