Vom "recitar cantando" zum "do di petto"
Koloraturen aus Männermund
Existiert sprachlich ein männliches Gegenstück zur "Coloratrice"? Dabei ist Koloraturgesang in der Oper ebenso eine männliche Domäne, beginnend mit der Titelfigur in Monteverdis vor 400 Jahren uraufgeführtem "L'Orfeo".
8. April 2017, 21:58
Koloraturen bei Monteverdi (Orfeo) und Weber (Oberon)
Faszinierende Vorstellung: Da tritt ein Tenor auf die Bühne und singt - zum Beispiel die "Stretta" des Manrico in Verdis "Troubadour" nicht mit bulliger Kraft, ganz auf den gellenden Schlusston fixiert, sondern mit federnder Leichtigkeit - und in der zweiten Strophe selbstverständlich verziert, mit Koloraturen.
Musikforscher berichten, dass das im 19. Jahrhundert bis zu den mittleren Verdi-Opern selbstverständlich üblich war. Werden wir es je wieder erleben können?
Mozarts "geschnittene Nudeln"
Rouladen, Fiorituren, canto figurato, Koloraturen - die Namen für den verzierten Gesang sind so vielfältig wie er selbst. Von "geschnittenen Nudeln" spricht Wolfgang Amadeus Mozart, wenn er nach der Münchner Premiere seines "Idomeneo" die Koloraturen-gespickte Langfassung von Idomeneos "Fuor del mar"-Arie erwähnt, die er später für eine Aufführung in Wien selbst "entschlackt" hat.
Koloraturen als quasi-instrumentales Virtuosenfutter? Wer sich in den Bereich der "Alten Musik" mit seinen tausenden Stil-Verästelungen vorwagt, erlebt es anders. Da sind die Stimmen leichter, die begleitenden Ensembles kleiner, da lässt sich die sprachliche Ableitung des Wortes "Koloratur" erfahren, das vom italienischen "colore" herkommt und ursprünglich die Färbung einer Phrase, eines Gesangsausdrucks bezeichnet.
Vom Ausdrucksmittel zum Virtuosenfutter
Februar 1607 in Mantua, in höfischem Rahmen, mehr in einem Zimmer als einem Aufführungssaal: die epochemachende Premiere von Claudio Monteverdis "L'Orfeo", von der sich 400 Jahre Operngeschichte ableiten. Wenige, ausgesuchte Instrumente, manchmal auch erst im angrenzenden Raum postiert - der Sänger des Orpheus braucht kaum mehr als Sprech-Lautstärke. Extrem engmaschig, mit einem kleinen, fast knackenden Akzent auf jeder kleinsten Note, sind seine Koloraturen, wenn er - ein tiefer Tenor oder ein hoher Bariton nach unseren heutigen Kriterien - den Unterwelts-Fährmann Charon ansingt und seine ganze Kunst aufbietet, im frühesten Koloraturgesang der Gattung "Oper".
Irrwitzige Beweglichkeit
Von Montverdis "recitar cantando" zur Musik für die virtuosesten Männerstimmen, die es je gab, der der Starkastraten des 17. und 18. Jahrhunderts, ist es ein weiter Weg. Ein Georg Friedrich Händel hatte an seinem Opern-Karrierehöhepunkt in London an Interpretinnen und Interpreten die Cuzzoni, die Durastanti, den Senesino, den Montagnara, also eine ganze Palette an koloraturfähigen Stimmlagen vom Frauen- über den Männersopran bis zum Bassisten zur Verfügung.
Seine Partituren lassen uns deren Perfektion ahnen: Speziell den tiefen Opernbässen wird nachher nie wieder eine derart irrwitzige Beweglichkeit quer durch die Stimmregister abverlangt werden.
Koloraturen bei Giuseppe Verdi?
Wenn ein paar Jahrzehnte später Vinzenzo Bellini mit seinen "melodie lunghe, lunghe, lunghe" (wie Verdi sie bewunderte) die Operngeher zu Tränen rührte, verkörperte Bellinis süßstimmiger Wundertenor Giovanni Battista Rubini schon ein anderes Stimmideal. Um Feinheit, um Farben, um die (selbstverständliche) Kunst, die "Bruststimme" mit der in den hohen Lagen ausschließlich eingesetzten "Kopfstimme" zu verblenden, ging es weiterhin, aber die weit ausgesponnene Phrase, die sängerische Attacke begannen, der Koloratur in der Gunst der Komponisten als Ausdrucksmittel den Rang abzulaufen.
Entsetzt zuckte Gioachino Rossini zusammen, als er zum ersten Mal einen Tenor das "do di petto", das mit Bruststimme heraus gestemmte hohe C, produzieren hörte. Eine Weile lebte die Kunst der Männerkoloratur, auf die die Komponisten der "Belcanto"-Ära gebaut hatten, dennoch weiter - bis hin zu den Tenören, die selbst den "Troubadour" mit Koloraturen versahen und damit Giuseppe Verdi zur Verzweiflung trieben.
Hör-Tipp
Apropos Oper, Donnerstag, 24. Mai 2007, 15:06 Uhr