Ukrainische No-future-kids
Depeche Mode
Es ist nicht der Plot dieses durchgedrehten Deliriums dreier arbeitsloser Studenten, was das Romandebüt des Ukrainers Serhij Zhadan ausmacht, vielmehr geht es um die inneren Monologe, die literarische Umsetzung von gesprochener Sprache in Schrift.
8. April 2017, 21:58
Als ich vierzehn war und meine eigenen Vorstellungen hatte, was das Leben betrifft, ließ ich mich zum ersten Mal vollaufen. Bis zum Anschlag. (...) Eigentlich passte mir alles, mir passten die Umstände, in denen ich lebte, mir passten die Leute, mit denen ich redete, (...) mir passte die Knete, die ich hatte. Mir passte das Land, in dem ich lebte, passte die Menge Scheiße, mit der es gefüllt war.
Solcherart sind die Sätze, die der 1974 in der Ostukraine geborene Serhij Zhadan seinem ersten Roman "Depeche Mode" ironisch einleitend voranschickt.
Reise voller Abenteuer
Drei Freunde - Dog Pawlow, Wasja Kommunist und der Ich-Erzähler Zhadan, prototypische No-future-kids der Welt zwischen Baltikum, Schwarzem Meer und Stillem Ozean - machen sich auf die Suche nach ihrem Freund Sascha Zündkerze. Dass sie diesem mitteilen müssen, dass sich sein Stiefvater erschossen hat, überliest man in der zwischen der Erzählebene des Jahres 2004 und den zehn Jahre zuvor sich abspielenden Ereignissen hin und her changierenden Story nebenbei ziemlich leicht.
Dog Pawlow betritt die Metro, will schwarzfahren, kommt in eine Werbeagentur, wo sich - protegiert von irgendwelchen KGBlern - ehemalige Komsomolzen mittlerweile als Werbefachleute produzieren: Man findet ihn stockbesoffen am Fußballplatz, ("in der Sowjetunion gab es zwei Sachen, auf die man stolz sein konnte: Fußball und Atomwaffen", heißt es einmal lakonisch). Schließlich fällt er eine Tribüne hinunter, landet bei der Miliz und im Krankenhaus, aus dem er rüde hinausgeworfen wird. Und so weiter und so fort.
Zhadans als Stationendrama angelegte Textfläche führt auf fulminante Weise den Auftritt eines amerikanischen Erweckungs-Predigers vor; die wenig erleuchtete Übersetzerin versteht zwar nur die Hälfte, erfindet aber umso mehr; der jugendliche Zuschauer lässt den lieben Gott ohnehin einen guten Mann sein und denkt vor allem an eines: ein neues Paar Reebok-Turnschuhe.
Absurdistan im Radio
Der Versuch, Rauschgift zu kaufen, endet in einer Schießerei, das Gespräch eines der Helden mit dem Moderator einer Radiosendung über die Pop-Band Depeche Mode darf man als Metapher Leben und Schreiben in der Ukraine überhaupt lesen, um nicht zu sagen: über Leben und Sterben in der Ukraine.
Als der Radiosprecher nach einem seitenlangen absurden Dialog schließlich versteht, dass er von seinem bekifften Anrufer verarscht wird, fragt er diesen:
"Wie fühlen sie sich?"
"Wissen Sie, sagte ich, "ich fühle mich wie ein Fluss."
"Wie ein Fluss?
"Ja, wie ein Fluss, der gegen die Strömung fließt."
Herumgewirbelt und verwirrt
Tatsächlich fühlt sich auch der Leser von Serhij Zhadan wie in einem derartigen Fluss mitgerissen, durch die Gegend gewirbelt, verwirrt: Zhadan würde an dieser Stelle sagen: "gefickt". Er verliert sich in einer Flut mysteriöser Vorkommnisse und Anspielungen, die in etlichen Fällen offenbar auch von den Übersetzern, die grundsätzlich Großartiges leisten, nicht ganz verstanden wurden. Was man hingegen versteht ist der prekäre Umstand, dass aus einer Welt ohne Zukunft keine Flucht in die Gegenwart möglich ist, so sehr die Protagonisten auch herumstrampeln mögen und seitenlang Anleitungen zum Bombenbauen lesen.
Als die Freunde ihren in einem Pionierlager diensttuenden Gefährten schließlich finden, endet das Ganze in einem höchst romantisch-melancholischen Bild: Furor und Rasanz sind zum Stillstand gekommen. Für einen Prosa schreibenden Lyriker nicht weiter überraschend, steht am Schluss ein symbolträchtiges Bild: eine Schnecke, die einen Bahndamm überquert: "Ich glaube", heißt es da, "der Weg ist lang genug für ihr ganzes Leben."
Einfach und ehrlich
"Depeche Mode" ist nur für diejenigen verblüffend, die ihr Gemüt noch ein bisschen an düsterem Ex-Ostblock-Zynismus abkühlen müssen. Zum Glück hat es Serhij Zhadan nicht auf jene kulturtriefende Pathetik abgesehen, für die sein Freund und prominenter Autoren-Kollege Jurij Andruchowytsch zurzeit mit alle wichtigen deutschen Litertaurpreisen belohnt wird. Bei Zhadan geht alles einfacher:
Einer geht noch, einer geht noch rein, Ihr seid Wichser, der Schiri ist ein Schwein.
Auf nach Charkow!
Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr
Buch-Tipp
Serhij Zhadan, "Depeche Mode", aus dem Ukrainischen übersetzt von Juri Durkot und Sabine Stöhr, Suhrkamp Verlag, ISBN 978-3518124949