Inter arma silent musae
Die kroatischen "Maestri"
Eine Aktion der Geheimdienste und der Staatsrechtsanwaltschaft Kroatiens hat eine große Affäre aus der Zeit der Privatisierung aufgedeckt. Betriebe wurden absichtlich ruiniert, um sie billig zu übernehmen. Wer genau dafür verantwortlich ist, bleibt offen.
8. April 2017, 21:58
In der vorigen Woche kam es in Kroatien nach mehrjährigen, geheimen Untersuchung der Staatsrechtsanwaltschaft zu zahlreichen Verhaftungen wegen des Verdachts des Betrugs und der Veruntreuung im Zuge der Privatisierungen nach der kroatischen Unabhängigkeit 1991. Inhaftiert wurden sechs Vizedirektoren jenes Staatsfonds, der, ähnlich der deutschen Treuhand, für die Abwicklung sorgen sollte. Die ganze Aktion lief unter dem Codenamen "Maestro". Wer dabei der "Maestro" sein sollte, bleibt vorerst offen. Der Name des Direktors dieses Staatsfonds ist bislang nicht gefallen.
Großflächige Umverteilung
Die großen politischen Wenden am Ende der 1980er und am Anfang der 1990er Jahre wurden von unermesslichen Privatisierungswellen begleitet. Staatsbesitz, also vergesellschaftetes Gut, wurde in kurzer Zeit und unter für die jeweiligen Länder spezifischen Bedingungen an Private "verteilt".
In einer bis dato, wenn es um materielle Mittel geht, homogenen "sozialistischen" Gesellschaft ist ein Zustand von wildem Kapitalismus eingetreten. Die Kluft zwischen den Habenden und den Habenichtsen ist deutlich sichtbar geworden.
Die Neureichen des Ostens haben sich sehr schnell mit in den westlichen Verhältnissen zurecht gefunden. Die westliche Geschäftswelt hat rasch mit diesen fast immer zwiespältigen Repräsentanten des neuen Kapitalismus ihre Rechnung gemacht, getreu dem Spruch "Geld stinkt nicht".
Unterschiedliche Wege der Privatisierung
Die Musen schwiegen und die Geschäfte florierten. Es ist eine altbekannte Tatsache, dass man nie bessere Geschäfte machen kann, als im Krieg.
Während die meisten Länder des ehemaligen "Ostblocks" die Privatisierung unter dem Motto der Demokratisierung der Gesellschaft und ihrem Eintritt in die Welt der Marktgesellschaft vollzogen haben, hat dieser Prozess in Kroatien seine eigenen Wege gefunden. Es herrschte Krieg und man konnte "Geschäfte" mit der Privatisierung mit dringenden patriotischen Zielen begründen.
Es kursierte die Geschichte, dass der damalige kroatische Staatspräsident, Franjo Tudjman, persönlich 200 "rein kroatische" Familien ausgesucht habe, die den Kern der neuen gesellschaftlichen Elite in Kroatien bilden sollte.
Mehr als ein Drittel Kroatiens wurde okkupiert und fast völlig zerstört. Menschen wurden getötet und sind vertrieben worden. Gleichzeitig hat sich eine neue Elite mit staatlichen Krediten ohne eigenes Geld bereichert.
Offiziell hatten alle Beschäftigten in einem Betrieb die Möglichkeit Aktien ihrer Fabrik oder anderer zur Privatisierung anstehender Betriebe zu erwerben. Diese Betriebe wurden dann sehr oft absichtlich in den wirtschaftlichen Ruin geführt und die arbeitenden Neo-Aktienbesitzer waren gezwungen - in finanzieller Not gelandet - ihre Anteile billig zu verkaufen.
Die kroatischen "Maestri"
Man ist jedoch überrascht, dass diese Affäre erst jetzt ans Tageslicht gekommen ist. Jeder in Kroatien kannte die Neureichen beim Namen und man wusste sogar ohne Zweifel, dass diese Menschen, in den meisten Fällen, aus bescheidenen Verhältnissen innerhalb von ein paar Jahren ein unglaubliches privates Vermögen aufgehäuft haben.
Die Überraschung ist noch größer, wenn man sieht, mit welcher Gelassenheit die kroatische Öffentlichkeit auf diesen Skandal reagiert. Sie beschäftigt sich mit Ehebruch eines "Geschäftsmanns" und einer TV-Moderatorin und Sängerin. Oder: Zwischen an die 60.000 Menschen haben am Wochenende ein großes Konzert des populärsten kroatischen Sängers in Zagreb verfolgt. Das Publikum war begeistert, weil er ihnen als "Heimatrocksänger", was auch immer das sein soll, das Gefühlt gemeinsamer Werte vermittelt. Von rechtsextremistischen Tönen begleitet, sang der Mann über die Liebe zur Heimat, zu den kroatischen Helden, zu Gott und zur Nation.
Was jetzt?
Die Opposition hat sich halbherzig zu einer Rücktrittsaufforderung an die Regierung aufgeschwungen. Diese und Präsident Stipe Mesic konferieren und freuen sich, zumindest scheint es so, über den Erfolg im Kampf gegen die Korruption. Selbstverständlich ist, dass alle Seiten die Verdienste um die Aufklärung dieser Umstände für sich reklamieren.
Ob aus dieser Geschichte etwas Positives heraus kommen wird, ist fraglich. Korruptionsfälle sind an der Tagesordnung und jeder neue Fall drängt die alten Fälle in den Hintergrund - ohne große Folgen für die Verantwortlichen.
Die kroatischen Wählerinnen und Wähler werden sich mit diesen Problemen noch in diesem Jahr zu beschäftigen haben. Bis dahin bleiben Konzerte und die zerfallenen Ehen der Reichen und Schönen, die dominanten Themen der kroatischen Medienwelt.
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