Literatur 2.0
Die Linearität von Text
Mit der Linearität von Text und den Möglichkeiten, wie man diese Linearität aufbrechen könnte, beschäftigt sich der Autor Peter Glaser seit Jahrzehnten. Auch mit den Möglichkeiten von Hypertext, wobei auch Fußnoten Hypertext-artigen Charakter haben.
8. April 2017, 21:58
Peter Glaser, aus Graz stammend und seit langem in Deutschland lebend, ist ein Grenzgänger - zwischen der Welt der Literatur und der Welt der Computer. Glaser ist seit den 1980er Jahren Journalist (unter anderem für Tempo und Die Zeit) und zugleich Schriftsteller; er war früh schon Mitglied beim Chaos Computer Club und dort auch leitender Redakteur der Chaos-Computer-Club-Zeitschrift "Datenschleuder".
Ihm wurde aber auch eine der höchsten Auszeichnungen für deutschsprachige Autoren zuteil, nämlich 2002 der Bachmann-Preis. In seinen literarischen Arbeiten hat er sich immer wieder von Computer- und Popkultur inspirieren lassen, wurde aber nie zum "Computer-Schriftsteller" oder gar "Pop-Literaten".
Literatur und Computer
Mit der Linearität von Text und den Möglichkeiten, wie man diese Linearität aufbrechen könnte, beschäftigt sich Peter Glaser seit Jahrzehnten. Auch mit den Möglichkeiten von Hypertext, wobei er scharfsichtig bemerkt, dass auch altmodische Fußnoten bereits Hypertext-artigen Charakter haben, weil sie aus dem Original-Text herausführen und auf andere Texte verweisen.
Berührungspunkte erkennt Glaser auch zwischen Literatur und Computer- bzw. Videospielen. In letzteren erkennt Peter Glaser eines der wenigen "wirklich erfolgreichen Netzliteraturprojekte". Und in der Tat waren die ersten Videospiele wie etwa das Adventure-Spiel "Zork" textbasiert und ließ sich ihr weiterer Verlauf durch die Eingabe von kurzen Textbefehlen steuern.
Ökonomie der Handhabbarkeit
Neuentwicklungen wie etwa E-Books, die dynamischere, multimedialere Formen von Literatur ermöglichen und in Zukunft mit sich bringen werden, sieht Glaser abgeklärt. Und dass das klassische Buch durch E-Books verdrängt werden könnte, hält Peter Glaser ohnedies für unwahrscheinlich.
"Die Kulturform Buch, die - wenn man bei Gutenberg anfängt, man könnte aber noch weiter zurückgehen - 400 Jahre alt ist, ist an Ökonomie und Handhabbarkeit unschlagbar. Wenn ich in der linken Hand ein E-Book halte und in der rechten Hand ein gebundenes Buch und beide fallen lasse, dann sind auf der linken Seite 400 Euro weg und auf der rechten Seite passiert gar nichts. Ich hebe es wieder auf und lese weiter."
Das Schreibwerkzeug und das Schreiben
Dass das Schreibwerkzeug das Schreiben beeinflusst und es eine Wechselwirkung zwischen "Aufschreibesystemen" (Friedrich Kittler) und jeweiligem Inhalt gibt, ist bekannt. Mittel- und längerfristig wird auch das Schreiben am Computer und das Internet Spuren in der Sprache und in der Literatur hinterlassen. Wenn auch vielleicht auf eine heute noch nicht absehbare Art und Weise.
Peter Glaser nennt in diesem Zusammenhang als Beispiel Ernst Jandl und die Vertreter der konkreten und visuellen Poesie, die in den 1950er und 1960er Jahren eine avantgardistische Lyrik unter kreativem Einsatz der Schreibmaschine schufen. Jandls Arbeiten hätten dann viel später, in den 1980er Jahren, beim Aufkommen von Chats ein überraschendes Echo gefunden.
Lust am Spielen mit Sprache
"Jandls Avantgarde-Lyrik hat sich in den 1980er Jahren dann in eine Art neue Umgangssprache verwandelt. In den Chats ist alles kleingeschrieben worden, es gab eine vollkommene Freiheit in der Wortgestaltung. Diese Form von Unterhaltung hat auch sehr viel mit einer Lust am Spielen mit Sprache und Schlagfertigkeit zu tun. Man könnte diese Chat-Protokolle im Grunde genommen 1:1 oder nur leicht redigiert veröffentlichen - als literarische Texte."
Glaser rät daher zu Geduld: Genuin literarische Erscheinungsformen, die sich im Internet entwickeln, brauchen einfach noch ihre Zeit. Und die Möglichkeiten, die Hypertext und interaktive Erzählweisen bieten, seien noch lange nicht alle erprobt und ausgereizt.
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 1. Juli 2007, 22:30 Uhr