Die Katastrophe in der Musikgeschichte
Katastrophale Musik
Wenn Musik zur Katastrophe wird - kann das sein, darf das sein? Die Angst macht Lust, Schaulust. "AngstBilderSchauLust" heißt ein Sammelband über Katastrophenerfahrungen in Kunst, Musik und Theater.
8. April 2017, 21:58
Die Katastrophe ist ein lohnendes Thema. Ausbrüche - wie jener des Vesuv - und Untergänge - wie jener Pompejis - sind eine gute Plattform für Kunstpräsentation. Wenn etwas untergeht, klingt es mit Musik auf jeden Fall besser - wobei die Musik sich erstaunlich dezent bei der Untermalung von Naturkatastrophen verhält.
Das Chaos war in der Musik des 18. und 19. Jahrhunderts nicht darstellbar. Und wenn, dann als Ausnahme. Das Chaos war in der Musik dieser Zeit unerhört. Das fanden auch die Zeitgenossen, als Haydn es in seiner Schöpfung vertonte.
Telemanns Donner-Ode
Das Erdbeben von Lissabon 1755 inspirierte Telemann zu einer Donner-Ode, die beim Bußtag der Stadt Hamburg aufgeführt werden sollte.
Er donnert, dass er verherrlicht werde,
Sagt ihm in seinem Tempel Dank!
Vom Tempel schalle zum Ende der Erde
Der lange laute Lobgesang.
Telemann wurde einerseits geliebt für die großartige Nachahmung der Natur - als Beweis der Wirkung seiner Musik galt: Ein Hamburger Weib sank in Ohnmacht. Andererseits wurde es auch als degoutant erachtet, seine Musik als zu wenig kunstlos angesehen. Das war das Dilemma, in dem die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts steckte und worauf Hartmut Schick in seinem Beitrag im Rahmen des Sammelbandes "AngstBilderSchauLust. Katastrophenerfahrungen in Kunst, Musik und Theater" aufmerksam macht.
Stürme in Frankreich
In Frankreich ging man mit der Katastrophe in der Musik besser um. Die Sturmszene wurde zum Versatzstück jeder Oper, schon 1714 in der Tragedie lyrique "Arion des Jean Baptiste Mathos", aber auch in Opern Marin Marais', Jean Philip Rameaus oder von Pascal Collasse.
Das Vokabular des Sturms wird damals festgelegt: Tremolo, Trommelwirbel, Tonleiter-Läufe in schnellen Tempi, langes Verharren auf einem einzigen Klang, Abwesenheit von sangbarer Melodik.
Hommage an die Opfer
Im 19. Jahrhundert noch das Thema musikalischer Außenseiter, ist sie im 20. Jahrhundert gern gewähltes Thema: die Katastrophe als Hommage an Opfer, jener des Zweiten Weltkrieges, der Atombombenabwürfe, des Untergangs von Personen-Schiffen. Wolfgang Rathert streift durch katastrophale Musik von Ives bis Stravinsky, von Schönberg bis Bernd Alois Zimmermann bis Wolfgang Riehm und er spricht den Verlust des Schönen als Signatur der Katastrophe an.
Die Beiträge des Bandes wählen klug aus, womit sie Leserinnen und Leser bekannt machen. Katja Kwastek stellt uns ein Naturkatastrophen-Ballett vor, wie es die Berliner Gruppe die Tödliche Doris auf die Beine stellte. Man tanzt auf dem Lehmboden eines leeren Bauplatzes in Berlin, mit Requisiten wie einem dünnen Metallblech auf den Rücken gebunden.
Risikominimierung
Der sogenannte Handapparat des Buches "AngstBilderSchauLust" ist benutzerinnenfreundlich. Solch ein Buch ist ja weniger zum In-einem-Zug-durchlesen da, sondern mehr zum Nachschauen. In diesem Sinne ist das Namens- und Werkregister der Beschäftigung förderlich, die Fußnoten jeweils am Ende eines Kapitels mögen für den Drucker bequem sein, zum Lesen sind sie's nicht.
Das Team des Herausgebers und der Herausgeberin, Jürgen Schläder und Regina Wohlfahrt, hat eine vielseitige Karriere hinter sich: akademische, dramaturgische, journalistische und PR-Tätigkeit - und beide haben Radioerfahrung. Diese Vielseitigkeit, die sich aus großer Kompetenz im Umgang mit einem breiten Publikum ergeben hat, schlägt sich im Buch nieder.
Analyse der Katastrophe
Es ist zwar aus einer Ringvorlesung an der Ludwig Maximilian Universität München entstanden, bringt aber ohne Voraussetzungen zu verlangen einen Zugang zu Risiko und Katastrophen aus wirtschaftlicher und naturwissenschaftlicher Sicht, aus dem Blickwinkel der Malenden, Dichtenden, der Gläubigen und der Medienmachenden.
So sind es Ziele des Bandes, die Katastrophe nicht nur darzustellen - wie der im Halse stecken gebliebene Schrei Edvard Munchs -, sondern sie auch zu analysieren oder - im Beitrag über Risikominimierungsstrategien - sogar zu vermeiden. Wäre es - aus musikalischer Sicht - nicht schad' um sie?
Hör-Tipp
Apropos Musik - das Magazin, Sonntag, 1. Juli 2007, 15:06 Uhr
Buch-Tipp
Jürgen Schläder, Regina Wohlfarth (Hg.), "AngstBilderSchauLust. Katastrophenerfahrungen in Kunst, Musik und Theater", Henschel Verlag, ISBN 9783894875732