Toleranz für Atheisten
Satanische Verse?
Wir reden ja viel von Toleranz. Toleranz kann nur heißen, dass auch Atheisten Glaubensfreiheit zuzugestehen ist, samt dem Recht, sich über ihre gläubigen Mitmenschen auch lustig zu machen. Und erst recht einem Schriftsteller wie Salman Rushdie.
8. April 2017, 21:58
Salman Rushdie wird also zum "Sir" ernannt. Oder "geschlagen", wie's so schön heißt - weil bei dieser Prozedur ein Schwert, ein Objekt recht altertümlicher Provenienz, eine wichtige Rolle zu spielen scheint.
Man kann über diese verquastete Art der Ehrung verdienstvoller Untertanen Ihrer Majestät, der Königin der Briten, ja lächeln - stammt sie doch aus einer Ära, in der es einem Sir erlaubt war, ein Pferd zu besitzen, einem sonstigen Untertanen aber nicht und jenes Pferd für die Mobilität und damit für die freie Entfaltung und Selbstverwirklichung des Besitzers von essenzieller Bedeutung war.
Die Briten sind ein traditionsfestes Völkchen. Und immerhin dürfen sich auch der Ex-Beatle Paul McCartney und sogar der Immer-noch-Rolling-Stone Mick Jagger "Sirs" nennen - jener Mick Jagger, der über Jahrzehnte den Bürgerschreck vom Dienst und gnadenlosen Verächter aller Sitten gab; der sich dank seines provozierend tugendlosen Lebenswandels nicht nur ständig in den Klatschspalten wiederfand, sondern mitunter auch schon vor Gericht; und der gelegentlich den Teufel persönlich vorstellt und um Sympathie für dessen Taten wirbt.
So gesehen, ist der "Sir" für Salman Rushdie, einen der brillantesten lebenden Schriftsteller mit recht unbefleckter Biografie, ja geradezu langweilig.
Weniger lustig scheint, was sich nun einmal mehr in den islamischen Seelen abspielt: Hasspredigten in Moscheen, gewalttätige Großdemonstrationen, ein offizieller Minister, der meint, "Selbstmordanschläge wären gerechtfertigt", ein anderer, der zu Bücherverbrennungen aufruft. Ein Parlamentspräsident, der sagt: "Jeder Gotteslästerer muss mit dem Leben haften" und hinzu fügt, er würde das notfalls auch persönlich erledigen. Wohl gemerkt: Es handelt sich um höchst offizielle Repräsentanten ihrer Staaten.
Weniger lustig scheint auch, dass darauf sofort wieder die große Beschwichtigungsorgie einsetzte. Wieder einmal liest man in Blättern allerorten, dass Rushdies literarisches Schaffen ja so grandios gar nicht sei - was falsch ist -, dass man sich mit derlei Ehrungen ja auch zurück halten könne - warum gerade bei Rushdie? - und dass der Rummel dem Schriftsteller ja dazu diene, seine Verkaufszahlen zu steigern - eine eigentlich schon infame Unterstellung.
"Die Satanischen Verse" lautet der Titel des Romans, der vor 18 Jahren die ganze Affäre ins Rollen brachte, wobei ein verbreitetes Missverständnis auszuräumen ist: In dem Buch geht's nicht sonderlich satanisch zu. Die "satanischen Versen" sind zwei Textzeilen, die aus dem Koran gestrichen wurden, weil, so die islamische Theologie, der Teufel selbst sie in das heilige Buch hinein geschummelt hatte. Die beiden Verse sind übrigens überliefert.
Rushdies Titel ist eine Anspielung darauf, ansonsten hat der Teufel in seinem Roman keine weitere Rolle. Mit Mick Jaggers "Sympathy For The Devil" ist das gar nicht zu vergleichen.
Man sollte auch erwähnen, dass der damaligen Fatwa, dem Mordaufruf Chomeinis, der sich nicht nur gegen Rushdie selbst, sondern auch gegen sämtliche Verleger, Übersetzer und sonstigen Verbreiter des Buchs richtet, also im Prinzip gegen jeden kleinen Buchhändler, tatsächlich Menschen zum Opfer fielen: So wurde der japanische Übersetzer der "Satanischen Verse" von einem Moslem ermordet.
Das Problem sind aber, und das zeigt sich einmal mehr, nicht so sehr die Chomeinis und ein paar fanatische Islamisten, die wohl eine üble, aber keine wirklich bedeutende Rolle im Weltgeschehen spielen - jenseits der Medienhysterie, die sie produzieren. Sie sind zu wenige. Das Problem sitzt tiefer: Ich erinnere mich an ein Radiointerview mit einem Präsidenten eines hiesigen islamischen Glaubensvereins, der Name ist mir entfallen, einem durchaus moderaten Mann. Auf die Fragen des Interviewers zu Salman Rushdie antwortete er wortreich, aber allgemein, der Islam sei eine Religion des Friedens, der Gerechtigkeit und der Toleranz, und er wie sein Glaube lehnten Gewalt, Mord und Terror ab und dergleichen mehr. Die konkrete Feststellung, ein Mordaufruf und erst recht ein allfälliger Mord an Rushdie seien, was sie sind, nämlich schlicht und einfach Verbrechen, kamen ihm auch auf insistierende Fragen nicht über die Lippen. Das ist das Problem.
Rushdie ist bekennender Atheist, als ehemaliger Moslem, als der er aufwuchs. Er ist aus Sicht seiner früheren Religion also nicht einfach ein Ungläubiger, sondern ein Abtrünniger. Das gilt nicht nur im Islam als besonders schwerwiegendes Vergehen, auch nach Auffassung etwa christlicher Kirchen galten abgefallene Gläubige als weit schlimmere Sünder, samt inquisitorischen Folgen, als sonstige Ungläubige.
Freilich ist das 400 Jahre her und mittlerweile hat man sich dazu durchgerungen, auch Atheisten "Glaubensfreiheit" zuzugestehen. Auch einem Atheisten muss es erlaubt sein, seinen "Glauben" zu verkünden, und das gegebenenfalls auch in ironischer, satirischer oder anders offensiver Weise. Wenn jemand die Idee, der Koran sei eine der 72 Eigenschaften Gottes, oder beispielsweise die jungfräuliche Empfängnis, schlicht und einfach für Nonsens hält, dann hat er/sie das Recht, das auch zu sagen.
Und offen gesagt: Bei allem Respekt muss dem, der daran nicht glaubt, das alles zwangsläufig - rein rational - als recht märchen- und sogar lachhaft vorkommen. Wenn aus dieser Haltung dann Karikaturen, Filme oder ironische Romane entstehen, dann kann man den Gläubigen, welcher Religion immer, nur sagen, dass sie das wohl aushalten müssen. Sie müssen sogar Mick Jagger aushalten.
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