Patriarch des Moskauer Konzeptualismus
Russischer Künstler Dimitri Prigow gestorben
Der russische Dichter und Mitbegründer des russischen Konzeptualismus, Dimitri Prigow, ist am Montag 66-jährig gestorben. Prigow galt als einer der wichtigsten Poeten der post-sowjetischen Ära. Er hat mit Live-Auftritten immer wieder Aufsehen erregt.
8. April 2017, 21:58
Dimitri Prigow war fast alles: Schriftsteller, Performance-Künstler, Soz-Artist (eine Mixtur aus Sozialistischem Realismus und Pop-Art), Zeichner. Vor allem war der "Patriarch des Moskauer Konzeptualismus" ein Maximalist: Er hat mehr als 25.000 Gedichte geschrieben und etliche Tausend Lesungen absolviert.
Prigow war einer der wenigen russischen Künstler, die es vor und nach dem Ende der Sowjetunion gab. Kunst und Macht war eines seiner Dauerthemen. Der russische Dichter und Mitbegründer des russischen Konzeptualismus ist am Montag im Alter von 66 Jahren gestorben. Prigow galt als einer der wichtigsten Poeten der spät- und post-sowjetischen Ära. Er hat zahlreiche Bücher veröffentlicht und mit Live-Auftritten immer wieder Aufsehen erregt.
Visuelle Performances
Zusammen mit Lew Rubenstein galt er als führende Persönlichkeit des so genannten Konzeptualismus, der visuelle Performances als Kunstform in Russland etablierte. Prigow befand sich nach einem Herzinfarkt seit Anfang Juli in ärztlicher Behandlung.
Studium zur Zeit Chruschtschows
Worum es in der (sowjetischen) Kunst eigentlich ging, hatte Prigow, der in der Zeit von Chruschtschows Tauwetter, in der "vegetarischen Phase des Kommunismus" am Moskauer Stroganow-Instut zum Bildhauer ausgebildet wurde, rasch erfahren: Nur seine allerblödesten Skulpturen durften in Kindergärten oder auf Kinderspielplätzen aufgestellt werden. Die bildhauerische Arbeit am Sozialismus verwandelte sich in den 1970er Jahren in das monumentale Projekt, eine Bestandsaufnahme alles Sowjetischen in Gedichtform zu machen - die besagten 25- bis 26.000 Texte.
Dichter waren damals ohnedies so etwas wie Pop-Stars - und Prigow schrieb über alles: über Küchenschaben, Milizionäre, über Catull und Ragan, sämtliche Zentralsekretäre der KPDSU, über Hitler, Eva Braun bis zu Arnold Schwarzenegger und Wladimir Putin - über alles, was politisch korrekt und inkorrekt war.
Kampf gegen Vertikale der Macht
Der sowjetische Umgang mit Kunst - Zuckerbrot und Peitsche, Maulkorb und Privilegien - erlebt heute eine bizarre Wiederkehr: Wird im New Yorker Guggenheim so genannte Undergroundkunst gezeigt, reist natürlich Wladimir Putin zur Eröffnung an.
"Das Problem besteht darin, dass die Macht-Elite - und das ist in Russland zugleich die politische Elite - heute über außerordentlich viel Geld verfügt", meinte Prigow dazu vor wenigen Wochen in der Ö1 Sendung "Diagonal". "Geld ist der einzige Bereich, in dem es Macht und Prestige gibt. Das Geld wird in den Westen verschoben, der Westen kommt auf dieser Ebene zu uns." All das dient der Errichtung einer Vertikale der Macht - und genau dagegen kämpfte Dimitri Prigow sein Leben lang an.
Puschkin und Prigow
Gegen die traditionelle Auffassung vom Dichter, der in Russland mehr als ein Dichter sein soll, rezitierte er ekstatische "Asbuki", "Alphabete", in deren Verlauf eine ganze Weltgeschichte an Berühmtheiten niedergemetzelt wird. Das Ganze in Begleitung von Jazz-Größen wie Mark Pekarski oder Tarassow. Übrig blieb nur der letzte Buchstabe des russischen Alphabets: JA - Ich. Das war natürlich Prigow.
"In der Literatur gibt es leider noch immer kein gutes Bewertungs-System, das dem in der Musik vergleichbar wäre", meinte Prigow. "Man braucht verschiedene Kategorien wie 'Der beste Country-Sänger', 'der beste Rocksänger', 'der beste Pop'. Es geht ja schließlich darum, der Beste in seiner eigenen Kategorie zu sein und nicht darum, sich mit allen zu streiten, wer der beste Musiker überhaupt ist."
Von der radikal demokratischen, oder genauer gesagt markt-demokratischen parodistischen Kategorisierung waren nur zwei ausgenommen: Puschkin und natürlich Prigow selbst.
Performance mit Katze
Prigows Prosa ist eine durch apokalyptisches Understatement sich auszeichnende Beschreibung der Welt, in der man eigentlich nicht leben kann. Mit fröhlichem Sarkasmus versuchte Prigow in einer seiner letzten Performances einer Katze das Reden beizubringen. "Skaschi Rossija" - "Sag Russland" - wiederholte er immer wieder, als wäre dadurch Realität zu gewinnen. Die Katze sagte schließlich "miau".
Ohnedies gab es für den Stachanowec, den Stachanow/Arbeiter der russischen Literatur nur eine Form zu überleben: durch Arbeit. Zuletzt war ein weiterer 600-seitiger Roman erschienen, "Renat und der Drachen", eine Geschichte der Unschuld und Monstrosen.
Bildende Kunst
In letzter Zeit hatte er sich wieder vermehrt der bildenden Kunst zugewandt. Im Rahmen der Moskauer Kunstbiennale hatte er im Mai an vier Ausstellungen teilgenommen. Auf einem der ausgestellten Bilder war Prigow als leidender Christus zu sehen, mit grünem Glibber überschüttet.
Seinen Vorschlag, in der staatlichen Tretjakow-Galerie alle russischen Realisten endgültig zu überhängen, hätte ihm aber wohl ein alter Bekannter nicht erlaubt: der Milizionär; die von Prigow vielfach bedichtete Figur des mythisch überhöhten Ordnungshüters zwischen Himmel und Erde. Und der war und ist in Russland nicht so leicht loszuwerden.
Auf seinem Posten steht der Milizionär
Bis weit nach Wnukowo lässt er die Blicke schweifen
Nach Westen und nach Osten blickt der Milizionär
Dahinter ist es nur noch wüst und leer
Doch auf die Mitte mit dem Milizionär
Eröffnet sich der Blick von allen Seiten
Von allen Seiten blickt man auf den Milizionär
Von Osten blickt man auf den Milizionär
Von Süden blickt man auf den Milizionär
Vom Meer her blickt man auf den Milizionär
Vom Himmel blickt man auf den Milizionär
Und aus der Erde auch... Denn er versteckt sich nicht
Buch-Tipps
Dimitri Prigow, "Moskau, Japan und zurück", Folio, ISBN 9783852563602
Dimitri Prigow, "Lebt in Moskau", Folio, ISBN 9783852562346
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Dimitri Prigow