Analyse von Louise Richardson
Was Terroristen wollen
In ihrem neuen Buch erklärt Louise Richardson, dass wir Terror zwar nicht besiegen können, doch wenn wir besser verstehen lernen, was Terroristen antreibt, können wir effektivere Mittel entwickeln, um ihren Aktionsradius einzudämmen.
8. April 2017, 21:58
Mit unterschiedlichen Ausformungen von Terrorismus ist die Politikwissenschaftlerin Louise Richardson schon von Kindesbeinen an vertraut. Aufgewachsen in einer kleinen Küstenstadt in Irland, hätte nicht viel gefehlt, dass die heutige Harvard-Professorin als Teenager selbst ihre Dienste der IRA angeboten hätte - so aufgewühlt und erbost war die 14-Jährige angesichts der Ereignisse rund um den "Bloody Sunday" im Jahr 1972.
Gespräche mit Terroristen
Die Wut wich bald kritischer Distanz. Doch die frühen Kontakte zu terrorfreundlichen Milieus sollten sich für Louise Richardsons eigene Terrorismusforschung als äußert fruchtbar erweisen. Gestützt auf ausführliche Befragungen von Terroristen und historisch vergleichende Analysen terroristischer Bewegungen, räumt die Expertin für Sicherheitspolitik in ihrem neuen Buch mit den gängigen Mythen über Terrorismus auf:
"Terrorismus ist nicht neu. Und auch, dass nun verstärkt Terrorgruppen auf den Plan treten, die eine Mischung von politischen und religiösen Zielen verfolgen, ist ebenfalls alles andere als neu", meint Richardson im Interview. "Solche Gruppierungen lassen sich zumindest bis zu den Sicarii und den Zeloten im ersten nachchristlichen Jahrhundert zurückverfolgen."
Nicht nur Bösewichte und Psychopathen
Terroristen seien entgegen den gängigen Klischees weder amoralisch, noch irrational. Jeder Terrorist, den man befragt, wird seine Sache als höchst moralische Angelegenheit verteidigen. Und sogar Selbstmordterroristen - so die provozierende These der Autorin - seien auf ihre Art äußerst rational, denn aus der Perspektive der Organisation ist Selbstmordterrorismus eine der effizientesten Strategien, um mit möglichst geringen Ressourcen maximale Effekte zu erzielen.
Louise Richardson will Terroristen damit keineswegs rechtfertigen, doch sie zeigt, dass Antiterrorstrategien, die Terroristen als eindimensionale Bösewichte und Psychopathen zeichnen, zum Scheitern verurteilt sind.
Was macht Terroristen wirklich zu Terroristen? Sind es individuelle Hintergründe? Oder sind es kulturelle, soziale und wirtschaftliche Faktoren? Dass die Terrorverdächtigen des kürzlich erfolgten Anschlags von Glasgow gut ausgebildete Ärzte sind, widerspricht der verbreiteten These, wonach es einen ursächlichen Zusammenhang von Armut und Terrorismus gäbe, meint Louise Richardson. Ausschlaggebend sei vielmehr die fatale Kombination eines Gefühls relativer Benachteiligung, einer legitimierenden Ideologie und einer Gesellschaft, die Terror gutheiße.
Rache, Ruhm und Reaktion
Wer Terror effizient bekämpfen will, muss jedoch noch tiefer zu den Motiven der Terroristen vordringen. Die primären Motive von Terroristen variieren von Gruppe zu Gruppe: nationalistische Gruppen wollen Unabhängigkeit oder Abspaltung, religiöse Gruppen weltliches durch religiöses Recht ersetzen, sozialrevolutionäre Gruppen den Kapitalimus abschaffen. Im Hinblick auf diese Motive agieren Terroristen in der Regel recht erfolglos, meint Louise Richardson. Im Hinblick auf ihre sekundären Motive sind sie, wie sie bei ihrem Besuch in Wien erklärte, jedoch erschreckend erfolgreich - und sich überdies sehr ähnlich:
"Die drei sekundären Schlüsselmotive nenne ich die drei Rs: Rache, Ruhm und Reaktion. Das ist es, was Terroristen meiner Meinung nach wollen."
Versteht man einmal, wie sehr Terroristen von diesen drei Rs getrieben werden, dann wird auch klar, dass die USA mit ihrem Versuch, dem Terrorismus den Krieg zu erklären, zwangsläufig scheitern mussten. Indem sie nach dem 11. September 2001 diesen Krieg ausriefen, gaben sie den Terroristen genau das, was sie wollten, sagt Louise Richardson: eine Reaktion, die den verheerenden Anschlag auf die Twin Towers in seiner Bedeutung noch einmal maßlos steigerte, und damit auch die Gelegenheit zu Ruhm und Rache.
Konkrete Gegenstrategien
Die sachliche und zugleich doch leidenschaftlich engagierte, auf die Kraft der Rationalität und Aufklärung setzende Darstellung der Politikwissenschaftlerin bleibt allerdings nicht bei der Analyse stehen, sie schlägt auch konkrete Gegenstrategien vor - Strategien, die vor allem auf eines abzielen: den Terroristen ihre drei Rs, wo es nur geht, vorzuenthalten.
Louise Richardson empfiehlt sechs Regeln im schrittweisen Kampf gegen den Terrorismus: Ein vertretbares und erreichbares Ziel setzen; den Feind genau kennen und gezielt unterwandern; Terroristen von den sie unterstützenden Gemeinschaften isolieren; internationale Verbündete im Kampf gegen den Terror suchen; Geduld haben und das Ziel im Auge behalten. Und vor allem: nach den eigenen demokratischen Prinzipien leben, denn diese zählen für Louise Richardson zu den stärksten Waffen im Arsenal gegen den Terrorismus:
"Ich bin fest überzeugt, dass unsere Demokratie nicht dadurch entgleist, nur weil jemand eine Bombe inmitten unserer Gesellschaft platziert. Sie wird nur dann entgleisen, wenn wir daraus den Schluss ziehen, dass die Demokratie ungeeignet ist, uns zu beschützen."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Louise Richardson, "Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können", aus dem Englischen übersetzt von Hartmut Schickert, Campus Verlag, ISBN 978-3593383750