Die Menschen amüsieren
Christoph Martin Wieland
Man kennt den Namen Christoph Martin Wieland, aber kennt man auch seine Texte? Einer seiner Zeitgenossen, Lessing, der nur ein wenig älter war als er, gehört immer noch in den Literaturkanon, aber um Wieland ist es verdächtig still geworden.
8. April 2017, 21:58
Wielands Jugendschriften
Christoph Martin Wieland wurde vor allem als Verfasser von Vers-Epen bekannt, die vor allem unter englischem Einfluss entstanden. Es sind meistens kurze Geschichten und witzige Liebesabenteuer - nicht selten mit frivolen Akzenten ausgestattet -, daher auch die häufige Anfeindung.
Einbindung des Lesers
Am bekanntesten ist sein Versepos "Oberon", das von 1778 bis 1780 entstand. Es sind hier drei sehr verwickelte Haupthandlungen, die am Ende zusammengeführt werden.
Berühmt ist der Beginn dieses Textes, der hat Weltliteratur gemacht: Der Erzähler führt den Leser gleichsam in medias res. Da gibt es den berühmten Aufruf "Sattelt mir wieder den Hippogryphen", also den Pegasus, und dann beginnt schon eine wilde, unzusammenhängende Schilderung: Der Erzähler lässt sich gleichsam fortreißen von seiner Fantasie und wir sind mittendrin; ohne zu wissen worum es geht; und dann kommen die berühmten Verse, ein Zwischenruf, den ein anderer riskiert:
Komm, lass dich nieder auf diesen Kanapee,
Und - statt zu rufen, ich seh', ich seh,
Was niemand sieht als du - erzähl' uns fein gelassen
Wie alles sich begab. Sieh, wie mit lauschendem Mund
Und weit geöffnetem Auge die Hörer alle passen,
Geneigt zum gegenseitigen Bund,
Wenn du sie täuschen kannst so willig sich täuschen zu lassen.
Wohlan! So höret denn die Sache aus dem Grund!
Ein wunderschönes Spiel mit der Erzählerfiktion, ein wunderschönes Spiel der Einbindung des Lesers in die Aktion und zugleich auch eine Etablierung der Autorität des Erzählers.
Verquickung von Vernunft und Wunderbarem
Worin bestand die Leistung Wielands für die Literatur? Er hat die Sprache, das Deutsche in der Prosa, literaturfähig gemacht und dies in einem Ausmaß, wie kein anderer vor ihm. Vor allem hat er auch dem Erzählen neue Möglichkeiten erschlossen, geradezu trickreich verstand er sich auf die Verquickung von Vernunft und Wunderbarem in seinen Romanen und in seinen Vers-Erzählungen. Er repräsentiert eine eigene Form der antiken Rezeption im so antikenfrohen 18. Jahrhundert.
Seine Figuren sind sehr zeitnah, besonders die Frauenfiguren. Er setzte die skeptische Tradition des Humanismus fort und nicht umsonst hat er dessen Ahnherrn, den so gewandten Stilisten und Satiriker und Philologen und Pazifisten Erasmus von Rotterdamm, gehuldigt.
Für Menschenreche und Kosmopolitismus
Auch als Übersetzer hat Wieland große Verdienste: Er hat eine Shakespeare-Übersetzung angefertigt, Lucian und Cicero übersetzt und viele andere noch, auch Aristophanes; kurzum, er ist auch einer der wichtigen Vermittler.
Nicht zu vergessen ist auch seine politische Dimension: Die Schriften, in denen er für Menschenrechte und Kosmopolitismus eintrat; er trat für Toleranz und Harmonie ein, und verstand sich auf eine sehr stimmige und überraschende Selbstkritik:
Wie wohl ich fühle, dass ich nicht verdiente, misshandelt und preisgegeben zu werden, so fühle ich doch auch, dass ich kein großer Mann bin. Ich verlange auch nicht zu sein, wozu mich die Natur nicht gemacht hat.
Von Schlegel verrissen
Im Nachhinein hat man ihm allerdings sehr geschadet: Er galt als der anti-deutsche Schriftsteller schlechthin. August Wilhelm Schlegel erklärte 1799 den Konkurs über die Werke Wielands unter Berufung auf die großen Dichter der Aufklärung: Wielands Werk sei nichts anderes als eine Farce, das nicht ernsthaft Literatur präsentiere - also nicht in die Tiefen der Literatur gehe, nicht das verkörpere, was das wirkliche Bildungsideal der deutschen Literatur repräsentieren könne.
Er sei satirisch, ironisch, frivol, verfälsche das Echte an der Literatur, habe keinen Ernst in seinen Schriften, sei ein Spötter, dessen Spott aber nicht weit reiche; kurzum, ein Autor, der nichts mit der neuen romantischen Literaturtheorie zu tun habe, der aus dem Kanon der deutschen Literatur Goethe und Schiller ausscheide und nicht deren Tradition richtig fortsetze.
Von Nietzsche verteidigt
Zum anderen sind natürlich auch Verteidiger Wielands aufgetreten und zu den namhaftesten Verteidigern gehörte niemand anderer als Friedrich Nietzsche, der Menschliches, allzu Menschliches über Wieland sagte: "Wieland hat besser als irgendjemand Deutsch geschrieben und dabei sein recht meisterliches Genügen und Ungenügen gehabt. Seine Übersetzungen der Briefe Ciceros und des Lucian sind die besten deutschen Übersetzungen, aber seine Gedanken geben uns nichts mehr zu denken." Ich glaube, das ist etwas hart, denn es gibt doch auch vieles, was man immer wieder doch bereitwillig zitieren sollte und so ganz abwegig sind die Gedanken nicht.
Das schönste Urteil über Wieland hat allerdings Goethe gefällt im Gespräch mit Eckermann, wo er sagte: "Wie schön wäre es, die Menschen amüsieren zu können, so wie Wieland das tat, wenn die Menschen nur amüsabel wären. Und an amüsablen Menschen fehlt es bis heute noch."
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Links
Wikipedia - Christoph Martin Wieland
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