Die Erfolgskarriere einer "toten" Sprache

Latein ist tot, es lebe Latein!

Die Römerzeit erfreut sich steigender Beliebtheit. Lateinische Comics und Bestseller-Übersetzungen ins Lateinische nehmen zu. Wilfried Stroh versucht in seinem neuen Buch, die "einzigartige Erfolgskarriere der lateinischen Sprache" nachzuzeichnen.

Warum Latein - heute im 21. Jahrhundert? Wem nützt es - und was leistet es? "Latein ist seit zweitausend Jahren 'tot' und wurde dennoch zu allen Zeiten wie eine lebendige Sprache gepflegt", schreibt der Münchner Altphilologe Wilfried Stroh in seinem neuen Buch, das nichts Geringeres versucht als die "einzigartige Erfolgskarriere der lateinischen Sprache" nachzuzeichnen, die "Schicksale dieser von mir heiß geliebten Sprache, die man auch die Königin der Sprachen nennt, darzustellen, und zwar von den ersten Ursprüngen bis zu unserer heutigen Gegenwart".

Nachhilfeunterricht in Geschichte und Literatur des Lateinischen, das ist das Ziel von Wilfried Stroh, und was der emeritierte Lateinprofessor auf den gut 400 Seiten seines Buches leistet, ist Nachhilfeunterricht von seiner besten Art: abwechslungsreich, eloquent und nie akademisch-gespreizt, mit sehr persönlichen Einschätzungen und ironischen Untertönen.

Weiter Bogen

Strohs Buch spannt den Bogen von den angeblich Latein sprechenden Faunen in Latium um 1200 vor Christus bis hin zum ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß, der sich für den größten Lateiner seines Landes hielt, vom älteren Cato und dessen Buch "De agri cultura", dem ältesten römischen Prosabuch, bis hin zu Carl Orff und dessen Erfolgskomposition "Carmina Burana".

"Vielleicht nie hat sich der Genius einer Sprache so in einem Einzelnen manifestiert", schreibt er über einen Mann, der als Staatsmann, Anwalt, Redner, Philosoph und Schriftsteller Furore machte: über Cicero. Seine Leistung, seine an Wirkung und Verständlichkeit orientierte Rhetorik, sei entscheidend dafür gewesen, "dass Latein Weltsprache werden konnte".

Hommage an große Dichter

Latein ist mehr als einmal gestorben - und mehr als einmal wiederauferstanden. Doch nicht nur das Auf und Ab einer Sprache schildert Strohs Buch. Es ist auch und vor allem eine Hommage an die großen Gelehrten und Dichter des Lateinischen: an Catull, Vergil und Ovid, an Dante und Petrarca, an Erasmus, Melanchthon und Luther. Aber auch Karl Marx wird gewürdigt, der über den großen Dichter Lukrez promovierte, oder der protestantische Oberschulkommissar Niethammer, der den Begriff des Humanismus prägte, der schwäbische Verseschmied Josef Eberle oder der tschechische Komponist und Lateiner Jan Novak, beides Protagonisten des 20. Jahrhunderts.

Und last not least Strohs persönlicher Favorit: der Jesuitendichter Jacob Balde, Verfasser zehnstündiger Dramen, lyrischer Dichtungen in horazischen Maßen, Preislieder auf die Magerkeit und Satiren gegen den Nikotinmissbrauch - natürlich allesamt in lateinischer Sprache. "Jacobus Balde bekannt zu machen, ist mir wirklich eine Herzensangelegenheit", gesteht Stroh ein. "Das war ein jesuitischer Dichter aus dem 17. Jahrhundert, der ein Werk geschrieben hat, das man an Originalität und Kreativität nur mit dem von Goethe vergleichen darf. Mit Balde beschäftige ich mich schon seit 20 Jahren oder länger und versuche, ihn allmählich wieder ins allgemeine Bewusstsein zurückzubringen: ein Mann, der in seinem Jahrhundert der berühmteste Dichter Deutschlands war."

Lateiner mit Leib und Seele

Wilfried, auch genannt "Valahfridus", Stroh ist Lateiner mit Leib und Seele. Von ihm, der auch selbst mal eine Seneca-Tragödie inszeniert, der Münchner Stadtführungen in lateinisch gibt, gelegentlich in Toga gewandet auftritt oder Talkshows auf Latein organisiert, Vorsitzender des Vereins "Ludis Latinis" zur Förderung des lebendigen Gebrauchs der lateinischen Sprache im Sprechen, Schreiben, Singen, Tanzen und Theaterspielen, von ihm darf man eine nüchterne Einschätzung, wozu Latein gut ist und ob es eine Zukunft hat, nicht erwarten. Die Stärke seiner "Kurzen Geschichte einer großen Sprache" sind Strohs Begeisterungsfähigkeit und Temperament, seine Fähigkeit der farbigen, lebendigen Schilderung.

Katzenjammer über ein Nischendasein des Lateinischen wird man bei Stroh nicht finden. Zumal der Philologe von der Renaissance dieser Sprache überzeugt ist - und dafür gute Gründe nennt: "Sich auf Latein auszudrücken, ist ein großes Vergnügen. Jeder, der es kann, genießt es. Und er kann sich natürlich damit international verständigen."

"Winnie ille Pu" und "Harrius Potter"

Die Römerzeit erfreut sich steigender Beliebtheit. Die Anmeldungen an humanistischen Gymnasien nehmen wieder zu. Neue "echtlateinische" Romane kommen auf den Markt, lateinische Comics und Bestseller-Übersetzungen ins Lateinische, wie "Winnie ille Pu" oder "Harrius Potter". Im Internet machen sich lateinische Chat-Rooms, "greges garrulorum", breit, und die Finnen sympathisieren mit dem Gedanken, Latein - nach Englisch - zur zweiten Amtssprache der EU zu machen. Keine Frage: Mit dem "toten" Latein können Latein-Fans gut leben, es zeigt sich erstaunlich zeitresistent. Vielleicht auch dank der Dienste von Wilfried Stroh.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Wilfried Stroh, "Latein ist tot, es lebe Latein! Kleine Geschichte einer großen Sprache", List Verlag, ISBN 978-3471788295