Das Spiel mit dem Glück

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Josef und Christoph kommen in Shorts ins Casino. Regelmäßig. Das ist aber kein Problem, denn sie pokern online, vom Wohnzimmer aus. Es macht auch nichts, wenn sie im Online-Casino ihr Pokerface verlieren - es sieht ja niemand.

Wer denkt beim Thema Glücksspiel nicht sofort an "Casino Royale"? An das undurchdringliche Pokerface James Bonds, an geheimnisvolle Frauen in exklusiven Abendkleidern, exotische Drinks und viel, viel Geld?

Josef und Christoph hingegen haben ihren eigenen Dresscode. Sie kommen in Shorts ins Casino. Regelmäßig. Das ist aber kein Problem, denn sie pokern online, vom Wohnzimmer aus. Es macht auch nichts, wenn sie im Online-Casino ihr Pokerface verlieren - es sieht ja niemand.

Spielgeld und echte Scheine

Trotzdem spielt der Coolness-Faktor für sie eine große Rolle. Inspiriert durch Hollywood und jene hartgesottenen Film-Profi-Zocker, die scheinbar allein aufgrund ihrer Lässigkeit gewinnen, wagen sie immer wieder den Weg an den virtuellen Poker-Tisch und stellen im Cyberspace ihr Geschick, aber auch ihr Glück auf die Probe. Es geht um ein "inneres Gefühl” erklärt Christoph, "das sich auch einstellt, wenn man im Pyjama dort sitzt. Schließlich muss man ja nicht immer für andere cool sein", meint er, und Josef lacht beipflichtend.

Im Falle von Josef und Christoph gehört zur Coolness nicht einmal ein hoher Einsatz. Sie spielen hauptsächlich gegen Spielgeld. Aber die Online-Poker-Anbieter sind natürlich keine karitativen Einrichtungen. Sie greifen in die Trickkiste, um Spieler und Spielerinnen dazu zu animieren, echte Scheine locker zu machen. "Plötzlich bekommt man fünf Dollar überwiesen", berichtet Josef, "einfach so, als Anreiz, doch mal echtes Geld zu setzen." Und diese Taktik scheint recht gut zu funktionieren.

Wie groß ist die Suchtgefahr?

Ob jedoch das Online-Spiel ebenso suchtgefährdend ist wie realweltliche Spielformen, ist laut Primarius Herwig Scholz, Neurologe, Psychiater und ärztlicher Leiter der psychosomatischen Abteilung des Krankenhauses Weyern in Kärnten, noch nicht abzuschätzen: "Es fehlen die Erfahrungswerte, die wohl noch zwei bis drei Jahre auf sich warten lassen werden."

Allerdings scheint Scholz gerade das Online-Pokern aufgrund gezielter Fehlinformation potenzieller Spieler und Spielerinnen als besonders bedenklich zu betrachten. "Es werden Poker-Kurse angeboten, die selbstunsicheren Leuten signalisieren, sich hier Kompetenzen erwerben zu können, die sie bald sehr reich machen werden." Auch, so kritisiert Scholz, werde Poker auf Sportkanälen gesendet und so fälschlicherweise als Sport dargestellt.

Avatare als Gegenüber

Der Einsatz beim Online-Zocken ist nach oben hin offen, und mitunter wechseln ganz beträchtliche Summen ihre Besitzer. Josef und Christoph haben Spiele im Cyberspace beobachtet, bei denen es um mehr als 20.000 Dollar ging. Selbst setzen sie solche Beträge nicht, das Risiko ist ihnen zu groß. Zumal es im Internet noch schwieriger ist als im realweltlichen Kontext, sein Gegenüber einzuschätzen. Woher soll man denn wissen, mit wem man es zu tun hat?

Dienen im echten Leben Aussehen, Mimik, Gestik und Stimme als Anhaltspunkte, so sind die Gegner beim Online-Poker nur durch Avatare vertreten. Dem berühmten Bild der Poker spielenden Hunde von C.M. Coolidge folgend, sind diese virtuellen Alter Egos jedoch häufig Vierbeiner und verraten nicht viel über die Menschen dahinter.

Den Gegner richtig einschätzen

Neben dem Vertrauensproblem, das sich im Internet aufgrund der Unsichtbarkeit des Gegners ergibt, stellt sich natürlich auch die Frage nach dem Geschicklichkeitsaspekt des Online-Pokerspiels. Wie James Bond in "Casino Royale" selbstbewusst verlauten lässt, spielt man nicht die Karten, sondern man spielt mit seinem Gegenüber ("You never play your hand. You play the man across from you").

Seinen Gegner oder seine Gegnerin richtig einzuschätzen und sich selbst der korrekten Einschätzung zu entziehen, das macht den gewitzten Pokerspieler aus. Aber wie soll man das bewerkstelligen, wenn man im Internet spielt?

Das Glück erzwingen
Man kann den Versuch, das Glück im Spiel erzwingen zu wollen, leicht als irrational abtun, da diese Spiele klar außerhalb des persönlichen Einflussbereiches liegen, aber beim Poker, dessen Glücksspielaspekt zwar recht ausgeprägt, aber nicht der alleinige bestimmende Faktor ist, ist die Lage eben komplexer.

Josef und Christoph wissen das und sie achten darauf, dass das Hobby nur ein Hobby bleibt. Selbstkritisch meint Josef: "Es sind in meinem Spiel auch Grundzüge von Spielsucht erkennbar. Wenn man sich en suite für zwei, drei Tourniere anmeldet, dort auf keinen bezahlten Platz kommt und damit nichts verdient, dann tendiert man dazu, beim nächsten Tournier den Einsatz zu erhöhen, um das Verlorene dadurch wieder reinzuholen.”

Wir wünschen uns ein Wunder

Sobald es nur noch ums Gewinnen geht, bleibt von der zuvor beschworenen Coolness des Pokerspielers nicht mehr viel übrig. Dann ergreift für den Spieltheoretiker Alexander Mehlmann vom Institut für Wirtschaftsmathematik der Technischen Universität Wien das magische Denken von uns Besitz: "Wir sind gar nicht glücklich mit der Rationalität, mit einem berechenbaren Universum und einem berechenbaren Leben, mit der optimalen Entscheidung. Lächerlich. Wir wünschen uns in Wahrheit ein Wunder. Ein Wunder, das eintritt, und wenn es nicht eintritt, spielen wir weiter."

Hör-Tipp
matrix - computer & neue medien, Sonntag, 26. August 2007, 22:30 Uhr

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