Vier Romane in einem
Errötende Mörder
In ihrem neuen Roman - eigentlich sind es vier Romane in einem - erzählt Brigitte Kronauer von der Wandlung eines an Computer gewöhnten Normalbürgers zu einem Wesen, das von der Macht der Fantasie aus der Bahn geworfen wird.
8. April 2017, 21:58
Romane erzählen Geschichten. Die gehen zum Beispiel so: Ein junger Mann macht sich auf den Weg, um seine nagelneue Honda 750 beim Händler abzuholen. Er setzt sich voller Vorfreude in den Bus, und schon ist es um ihn geschehen. Er gerät in eine Art negativer "magic bus", in dem sich alle Rätsel und Wunder gegen ihn wenden.
Das ereignet sich in einem von drei Romanen, den ein windiger Schriftsteller einem befreundeten Händler für "Büroartikel und Anverwandtes" zu lesen gibt. Jobst Böhme nimmt also das Angebot des Schriftstellers an, sich in dessen Ferienwohnung in den Schweizer Bergen zurückzuziehen und Korrekturarbeiten an den Manuskripten vorzunehmen. Dort liest er nun solche Geschichten, in denen Menschen an den Abgrund ihrer Existenz geraten und in Konflikt kommen mit ihrer Umwelt, die sich als vorwiegend unfreundlich erweist.
Unberechenbare Romanfiguren
Drei Romane lässt Brigitte Kronauer einen fremden Autor erzählen, ihr eigener ist der vierte. Der umschließt alle anderen, bringt alle unter ein gemeinsames Dach, unter dem auch noch Jobst Böhme haust. Die Geister, die er durch die Literatur ruft, wird er nicht mehr los, sie greifen ein in sein eigenes Leben, modeln es um. Wer sagt, dass Lesen eine entspannende, angenehme Tätigkeit sei. Brandgefährlich ist es, sich in fremde Lebensläufe einzufühlen, am Ende nämlich macht man sich einen Teil des Fremden zu eigen.
Während dreier Tage hält sich Jobst Böhme in der Schweiz auf, und er liest nicht nur täglich einen Roman, er begegnet auch Menschen, die sich zunehmend der Welt der Romane angleichen. Die Figuren der Romane sind unberechenbar. Sie agieren so heftig gegen jede Vernunft, dass nur das Unbewusste, das Seelenleben die Regie über deren Verhalten übernommen haben kann. Wahre Dramen spielen sich in ihnen ab, und diese Stürme ihrer Seele übertragen sie auf ihre Handlungen.
Einer sammelt, was ihm unter die Finger kommt, ohne System. Er steht unter Zwang, so wie jeder bei Kronauer gesteuert ist von inneren Antrieben, über die er keine Kontrolle hat. Und weil alles quer zu einem Plan steht, sei er gesellschaftlich oder moralisch oder kulturell bedingt, führt jeder Argumente in seinen Reden ins Treffen, die seine Entfernung vom Geist der Zeit rechtfertigen.
Eine Gegenwelt zum Realismus
Der Schriftsteller der drei Romane erzählt vom Einbruch des Irrationalen in eine hoch zivilisierte Gesellschaft. Brigitte Kronauer erzählt von der Wandlung eines an Computer gewöhnten Normalbürgers zu einem Wesen, das von der Macht der Phantasie aus der Bahn geworfen wird.
Gemeinsam mit Sibylle Lewitscharoff und Felicitas Hoppe zählt Brigitte Kronauer zum Dreigestirn der neuen deutschen Literatur, das seine Literatur einem extremen Verdichtungsprozess unterzieht. Fasst man deren Geschichten zusammen, fallen sie mickrig und klein aus. Die Welt, die sie erstehen lassen, eine Gegenwelt zum kleinbürgerlichen Realismus der alltäglichen Bestandsaufnahme, ist jedoch ungeheuer filigran und schrecklich abgründig.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 31. August 2007, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 2. September 2007, 18:15 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at
Buch-Tipp
Brigitte Kronauer, "Errötende Mörder", Verlag Klett-Cotta, ISBN 9783608937305
Link
Klett-Cotta - Errötende Mörder