Blinde und ihre digitale Umwelt

Freie Software für Blinde

Die mangelnde Usability herkömmlicher, grafisch orientierter Windows-Programme erschwert für blinde und sehbehinderte Menschen die Navigation am Computer und im Internet. Freie Software soll ihnen in Zukunft das digitale Leben wesentlich erleichtern.

Für blinde und sehbehinderte Menschen haben Computer und Internet viele Vorteile gebracht. Triviale Informationsangebote wie die aktuellen Schnäppchen der Discountketten oder der Veranstaltungskalender sind im digitalen Zeitalter auch für Blinde nutzbar. Literatur aller Art füllte früher - sofern verfügbar - dicke Bände in Brailleschrift.

Heute ist jedes digital vorliegende Schriftstück zugänglich und als kleines File handhabbar. Services wie Internetbanking oder elektronischer Fahrplan sind längst wichtige Hilfen, um den Alltag selbstbestimmt, auch ohne die Unterstützung Sehender, zu bewältigen.

Besondere Herausforderungen
Blinde stehen in der visuell geprägten, digitalen Umwelt aber auch vor besonderen Herausforderungen. Die Benutzerschnittstellen der meisten Anwendungen sind für Sehende konzipiert. Viele sind mit Features dermaßen überfrachtet, dass es sehr mühsam wird, zu navigieren, wenn nicht der ganze Bildschirm im Blickfeld ist.

Blinde können visuelle, digitale Inhalte meist nur seriell erfassen, von Oben nach Unten und von Links nach Rechts. Sie sind auf eine Braille-Zeile oder die Sprachausgabe angewiesen. Eine Braille-Zeile kann digitalen Text in den ertastbaren Zeichen der Blindenschrift ausgeben. Die mechanischen Elemente, aus der das Interface aufgebaut ist, sind sehr teuer. Eine Braille-Zeile, die 80 Zeichen darstellen kann, kostet um die 10.000 Euro.

Alternative Freie Software

Weil Braille-Zeilen so teuer sind, gibt es für ihre Anschaffung Förderungen, um Blinden die Benutzung von Computern möglich zu machen. Geliefert wird dabei meist ein Komplettpaket mit vorkonfiguriertem Windows.

Zentrales Element dieses Setups ist der sogenannte Screenreader, eine Software, die grafische Bildschirminhalte über die Braille-Zeile beziehungsweise die Sprachausgabe zugänglich macht. Geübte blinde Anwender können gängige Applikationen damit erstaunlich produktiv bedienen. Wer mehr will, scheitert aber bald an der mangelnden Usability.

Leichterer Umgang mit Linux

Anders als unter Windows gibt es unter Linux noch keinen gut funktionierenden freien Screenreader. Orca, ein Teil des Gnome-Projekts, könnte diese Lücke in absehbarer Zeit schließen. Dennoch benutzen vor allem fortgeschrittene blinde User häufig Freie Software für ihre tägliche Arbeit.

Grund dafür ist der klassische Unixansatz, den Linux geerbt hat. Dem Benutzer steht dabei eine große Zahl kleiner Programme zur Verfügung, die jeweils eine ganz spezifische Aufgabe erledigen und bei Bedarf kombiniert werden können. Die übersichtliche Arbeitsumgebung der Linux-Kommandozeile kommt den Bedürfnissen blinder Benutzer sehr entgegen. Es gibt sogar Blinde, die sich als Netzwerkadministratoren oder Programmierer
neue Berufsfelder erschlossen haben.

Adriane - Menüliste statt Desktop

Die Philosophie der Freien Software, die hinter Linux und anderen Open Source Projekten steht, verspricht Zugriff auf den Source Code jedes Programms, und so die Möglichkeit, Software an die eigenen Bedürfnisse anzupassen.

Klaus Knopper ist einer der bekanntesten deutschsprachigen Softwareentwickler. Seine Knopix-Live-CDs mit ausgefeilter Hardwareerkennung haben schon so manchen Virenbefallenen Windows-PC gerettet. Für seine blinde Frau Adriane, und gemeinsam mit ihr, entwickelt Klaus Knopper momentan ein Linuxbasiertes System mit speziell designter Oberfläche.

Statt einem Desktop zeigt das Adriane-System als Front-end eine einfache Liste mit zehn Punkten. "Ins Internet“ findet sich dort, oder "E-Mail lesen und schreiben“, "SMS senden und empfangen“, eine Taschenrechner oder ein Telefonbuch. Für Blinde hat die simple Adriane-Menüstruktur vor allem den Vorteil, dass auch ohne teure Spezialhardware, mit Sprachausgabe und Tastatur navigiert werden kann.

Nicht nur für blinde User
Adriane könnte aber nicht nur für blinde User von Interesse sein. Das übersichtliche Menü und die einfache Bedienung dürften den Umgang mit dem Computer für Ungeübte wesentlich erleichtern. Adriane könnte dazu beitragen, etwa älteren Computerneulingen den Anschluss an die moderne Kommunikationsumwelt zu ermöglichen.

Um die Möglichkeit, das Handy über Bluetooth einzubinden und SMS-Nachrichten mit der Tastatur zu schreiben, wird Adriane Knopper von ihren sehenden Freunden bereits beneidet.

Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 16. September 2007, 22:30 Uhr

Links
Bundes-Blindenerziehungsinstitute Wien
Orca
Adriane

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