Eine neue Art Hausmusik

New Orleans Revival

Bis in die 1940er Jahre des 20. Jahrhunderts blickte der Jazz immer nur nach vorn. Doch gleichzeitig mit dem damals entstehenden Be-Bop setzte der erste Rückblick auf die Geschichte des Jazz ein. Das ganze Genre suchte erstmals seine "Roots".

Bis in die 40er-Jahre des 20. Jahrhunderts blickte der Jazz immer nur nach vorn. Doch gleichzeitig mit dem damals entstehenden Be-Bop setzte der erste Rückblick auf die Geschichte des Jazz ein. Dafür waren im Wesentlichen zwei Gründe maßgeblich: Zum einen war der Be-Bop eine für viele Menschen schwierige, verstörende Musik, in die man sich nur schwer hineinhören konnte. Die Musiker taten ein Übriges, um den Zugang zum Be-Bop zu erschweren, indem sie sich exzentrisch kleideten und in einer Art Geheimsprache miteinander redeten.

Der zweite Grund war das Engagement einiger Jazzforscher und Musikwissenschaftler, die sich auf die Suche nach den Wurzeln des Jazz, den Roots machten.

Suche nach den Jazz-Protagonisten

Bei dieser Suche waren sie in erster Linie daran interessiert, Musiker aus der Frühzeit des Jazz zu finden, von denen viele aus New Orleans stammten, inzwischen aber in alle Winde verstreut waren. Die meisten hatten den Musikerberuf an den Nagel gehängt und waren mehr oder minder verschollen.

Es gelang den Jazzforschern dennoch, einige wichtige Protagonisten des sogenannten archaischen New Orleans Jazz ausfindig zu machen. Einer davon war der Trompeter Bunk Johnson, der in Louisiana als Lastwagenfahrer arbeitete. Weil er keine Zähne mehr besaß, hatte er das Trompetenspiel aufgeben müssen.

Jazz-Schisma in den 1940er Jahren

Man besorgte ihm ein neues Gebiss und eine Trompete und brachte ihn im Triumph nach New York, wo er ab 1942 bis zu seinem Tod 1949 auftrat und eine Vielzahl von Schallplatten aufnahm. Zur gleichen Zeit versuchten junge Weiße an der Westcoast, im Geist und im Stil der alten Musiker zu spielen und lösten eine Bewegung aus, die sich nicht nur sehr schnell ausbreitete, sondern den Jazz und seine Anhänger in zwei Lager spaltete.

Auf der einen Seite standen die Traditionalisten, die den alten Jazz als den einzig wahren, echten Jazz priesen und alle modernen Strömungen ablehnten; auf der anderen Seite die Modernisten, die alles, was vor dem Be-Bop entstanden war, als primitive Volks- und Tanzmusik verachteten.

Amateurjazz aus Europa

Der Streit griff auch auf Europa über. Während viele europäische Jazzmusiker sich nach den neuesten Strömungen aus den USA orientierten, fuhr der englische Trompeter Ken Colyer als Heizer auf einem Schiff nach New Orleans, um dort den Jazz an der Quelle zu studieren. Als er zurückkam, gründete er die erste europäische Revivalband, der unter anderem Chris Barber und Monty Sunshine angehörten, die später selbst erfolgreiche Bandleader wurden.

Zuvor schon hatte sich im Jahr 1948 der bedeutende Klarinettist Sidney Bechet als einer der ersten großen Jazzmusiker in Paris ständig niedergelassen und dort die jungen Musiker unter seinen Einfluss gebracht. Es entstand eine Welle, die ganz Europa erfasste: eine Art neuer Hausmusik, nämlich der Amateurjazz. Man schätzt, dass in seiner Hochblüte von ca. 1950 bis zum Aufkommen der Rockmusik allein in Deutschland über 50.000 Amateurmusiker traditionellen Jazz spielten. Viele von ihnen sind heute noch aktiv, während in den USA kaum noch traditioneller Jazz zu hören ist.

Hör-Tipp
Die Österreich 1 Jazznacht, Samstag, 22. September 2007, 23:20 Uhr

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John Evers