Sechsundneunzig Stunden der Genesung
Elend und Wonne
Marod, armselig, matt. Das kann Kranksein bedeuten. Schleimbepfropft, grünstichig, übelriechend. Das kann man mit Krankheit verbinden. Stillvergnügt, zufrieden, glückselig. Ich mit mir im Krankenbett. Die Geschichte einer Erkrankung.
8. April 2017, 21:58
Rückblick: Es ist Mittwochabend. Ich komme nach Hause, froh, weil einen Beitrag abgemischt, erschöpft, weil einen Beitrag abgemischt. Ein schöner Tagesausklang also, als es zu kratzen beginnt im Hals. Und es zu niesen beginnt, viele Male aus der Nase. Und zu schwitzen an zahlreichen anderen Stellen.
Andere mögen Whiskey saufen, ich leg mich ins Bett. Da kriegt mich keiner raus für vier Tage. Vier herrliche Tage mit: Schlafen (vormittags bis neun, nachmittags von eins bis fünf), Schnupfen (ein Sackerl voller Rotzfetzen), Kiwis essen, Fernsehen (wer hat gewusst, dass "Unsere kleine Farm" immer noch läuft? Die olle Nellie hat einen Mann gefunden!), Lesen (nicht zu anspruchsvoll) und das Beste: Das Mitleid! Mama gibt mir Ratschläge aus dem fernen Graz, während der Mann Geschirrspüler ein- und Waschmaschine ausräumt und mir Erdäpfelpüree kochen muss, weil Erdäpfelpüree zu meinem Kranksein gehört wie Rotkraut zur Entenbrust.
Das Wohnzimmer ist meine Residenz, ich lümmle am Sofa-Thron mit der Fernbedienung als Zepter. Besuche werden nur per Telefon empfangen und haben sich dem maladen Hofzeremoniell zu beugen. Nach dem förmlichen Einzug ("Wie steht das Befinden, Euer Krankheit?") folgt ein kurzes Understatement meinerseits, dem kein Glauben geschenkt werden darf. Mehrmaliges Nachfragen tut gut, die Souveränin der Erkältung zeigt sich milde.
Vier Tage, an denen ich alle zehn Minuten auf die Uhr schaue und mich freue, dass erst zehn Minuten vergangen sind. Ein ganzer Tag liegt vor mir, ich muss mir nur einen Zeitplan für die nächste Stunde erstellen: Sudoku lösen? Zeitung lesen? Oder doch nur dösen?
Der grüne Vorhang wirft unglaubliche Muster, die Stille des Zimmers schält ein Geräusch nach dem anderen heraus. Kein bisschen fad ist mir, kein bisschen!
Und heute? Heute kann ich wieder Interviews führen, Texte schreiben, Wege erledigen, Erdäpfelpüree nachkaufen.
Denn jetzt bin ich wieder gesund. Verdammt.