Das Hobby zum Beruf gemacht

Unterwegs mit Gerlinde Kaltenbrunner

Ihr größter Traum ging im Alter von 23 Jahren in Erfüllung, als Gerlinde Kaltenbrunner ihren ersten Achttausender bestieg. Inzwischen hat Gerlinde Kaltenbrunner bis auf den K2 alle Achttausender bestiegen. Erst vor wenigen Tagen ist sie bei ihrem sechsten Versuch, den K2 zu besteigen, gescheitert. Dabei ist einer ihrer Bergkameraden ums Leben gekommen.

"Bergsteigen sehe ich nicht als Sport wie Schifahren, Laufen oder Leichtathletik an, für mich ist es eine Lebensform. Das ist meine ganz große Leidenschaft und mein Lebensinhalt. Da hat Wettkampf und Konkurrenz überhaupt keinen Platz."

Für Gerlinde Kaltenbrunner ist - nach der Besteigung von elf Achttausendern - immer noch Bewegung in der Natur das Wichtigste. Schon als 13-, 14-Jährige war ihr, der überaus erfolgreichen Schifahrerin, Wettkämpfe und Konkurrenzverhalten ein Dorn im Auge und sie klinkte sich aus dem Schizirkus aus. Sie wanderte lieber mit Freunden, geleitet vom Pfarrer Erich Tischler, von Spital am Phyrn im Gebirge.

Klein angefangen

Ihr erster Berg war der eher unscheinbare Seespitz beim Gleinkersee, in der Nähe ihres Geburtsortes Spital am Phyrn. Dann wurden bald der Kleine und Große Phyrgas, sowie der Bosruck bezwungen. Wichtig waren ihr immer auch das Erfahren der Natur, das Kennenlernen der Pflanzenwelt, das Spüren der Anstrengung, und schließlich der Blick vom Gipfel ins Tal. Es ging nie darum, die Beste oder Schnellste zu sein.

Vor 13 Jahren bestieg Kaltenbrunner ihren ersten Achttausender, den Broad Peak, und allmählich wurde der damaligen Krankenschwester klar, ihre Passion zum Beruf zu machen. Es genügte ihr nicht mehr, am Wochenende oder in zusammengesparten Urlauben ins Gebirge zu kommen.

Nach der Besteigung des Nanga Parbat kamen die ersten Sponsoren auf sie zu und die Anfragen für Diavorträge häuften sich. Schließlich wagte Gerlinde Kaltenbrunner den Schritt zur Profibergsteigerin. Inzwischen hat sie zehn Achttausender bestiegen. Ohne die Hilfe von Hochträgern, weitgehend ohne Fixseile und vor allem ohne Sauerstoff.

Oft mit im Team ist ihr Bergsteig- und Lebenspartner Ralf Dujmovits. Die beiden sind bekannt dafür, das Risiko möglichst auf ein Minimum zu reduzieren. Lieber rechtzeitig umkehren als sich unnötig in Lebensgefahr zu begeben, ist ihre Devise. Der Gipfelsieg ist nichts wert, wenn Schlechtwetter den Rückweg abschneidet

Kritische Situationen

Glück im Unglück hatte die Bergsteigerin im Mai 2007, als sie den Dhaulagiri in Nepal besteigen wollte. Während einer Rast auf 6.650 Metern wurde ihr Zelt von einer Lawine erfasst, mitgerissen und verschüttet. Nach einer angstvollen dreiviertel Stunde konnte sie sich selbst aus den Schneemassen befreien und sich in Sicherheit bringen. Für zwei spanische Bergsteigerkollegen kam jede Hilfe zu spät.

"Bis zu diesem Erlebnis hatte ich eigentlich nie Angst", erzählt Gerlinde Kaltenbrunner: "Ich musste schon einmal zwei Nächte in einer Felswand auf 6.000 Meter biwakieren, weil die Wetterbedingungen kein Weiterkommen zuließen. Da war mir die Gefährlichkeit der Situation bewusst. Wir wussten, wenn das Gas in unserem Kocher, mit dem wir Schnee zu Wasser schmolzen, zur Neige ging, wären wir verloren. Denn auf dieser Höhe muss man unglaublich viel trinken, um zu überleben. Ich wusste, es war kritisch, aber ich konnte ganz ruhig und bei mir bleiben. Und so konnten wir diese kritische Lage auch meisten. Als ich mich aus der Schneelawine befreite, hatte ich plötzlich entsetzliche Angst, dass sich ein neuerliches Schneebrett lösen könnte, sobald ich mich befreit hatte. Zum Glück war dies nicht der Fall und ich konnte zum Basislager absteigen."

Überleben ist wichtiger

Kurz darauf machte sich Gerline Kaltenbrunner auf ins Karakorumgebiet, zum K2. Eine Non-Stop-Besteigung war für die Alpinistin damals die einzige Chance, diesen Achttausender noch vor einem Schlechtwettereinbruch zu besteigen. 39 Stunden ohne Schlaf war sie unterwegs. Nur 400 Meter vor dem Gipfel entschied sie sich, nicht weiter zu gehen und zum Basislager zurückzukehren. Sie misstraute dem strahlenden Wetter und hatte Recht. Wenn sie den Gipfel erreicht hätte, wäre sie dort in einen entsetzlichen Sturm geraten, den sie möglicherweise nicht überlebt hätte.

Gerlinde Kaltenbrunner hat seitdem mehrmals versucht, den K2 zu bezwingen. Am 8. August 2010 musste sie erneut umdrehen. Das vermeintliche Scheitern ist für Kaltenbrunner im Grunde immer auch ein Sieg - über die Versuchung, das Schicksal herauszufordern.