Die letzten Wohnzimmer-Produzenten
Anarchy in the PC
Die Spielentwickler von Introversion Software in London gelten als "The Sex Pistols Of Game Design", weil sie in ihren Games eine bewusst krude Grafik verwenden, die gar nicht erst danach strebt, möglichst photorealistisch und poliert zu wirken.
8. April 2017, 21:58
30 Jahre ist es her, dass die Sex Pistols eine musikalische Revolte namens Punk anführten. Diesen Anlass feierte die Band diese Woche mit einer Reihe von Live-Konzerten in Großbritannien - ein geselliges Zusammentreffen älterer Herrschaften mit ihren meist ebenfalls schon älteren Fans. Solche Konzerte haben mehr mit Nostalgie zu tun als mit dem ursprünglichen Geist von Punk, der eben darin bestand, nicht länger Stars zu huldigen, sondern selbst aktiv und kreativ zu werden.
In den 1970er Jahren, als die Rockmusik von gigantomanischen Bühnenshows, endlosen Gitarrensoli und selbstverliebten Superstars geprägt war, da war Punk ein Akt der Befreiung und Selbstermächtigung. Hier drängt sich eine Analogie zum gegenwärtigen Zustand der Games-Industrie auf, deren Produktionen immer aufwendiger, kostspieliger und steriler werden.
Auch mit wenig Geld können gute PC-Games entstehen
Zu dieser Gigantomanie der Games-Industrie entwickelt sich ebenfalls gerade eine Gegenbewegung, Herausragend dabei: Die Spielentwickler von Introversion Software in London, die als "The Sex Pistols Of Game Design" gelten, weil sie in ihren Games wie etwa "Darwinia" eine bewusst krude Grafik verwenden, die gar nicht erst danach strebt, möglichst photorealistisch und poliert zu wirken.
Mark Morris, Mitbegründer und Managing Director von Introversion Software, möchte allerdings nicht nur an Punk, sondern auch an die Wohnzimmer-Produktionen der C64-Ära und deren Do-It-Yourself-Spirit anknüpfen:
Damals in den 1980er Jahren war die Computerspiel-Szene einfach unglaublich. Man hatte damals das Gefühl, dass jeden Tag oder jede Woche etwas Brandneues veröffentlicht wurde. Es gab so viele Firmen, die Games und großartige Games produzierten, vor allem auch in Großbritannien. Aber das ging dann verloren, je mehr Geld hineingepumpt wurde. Und als wir mit Introversion starteten, hatten wir das Gefühl, dass es kaum mehr Kreativität gab und nur mehr Klone von bereits existierenden Games und Games, die parallel zu irgendwelchen Filmen auf den Markt kamen. Wir haben uns deshalb augenzwinkernd 'die Letzten der Wohnzimmer-Produzenten' genannt, weil wir diesen Glauben neu entfachen wollten, dass nicht nur große Firmen mit großen Budgets Games machen können.
Inspiration aus dem Bereich des Filmemachens
Vorbilder und Inspiration findet Mark Morris auch im Bereich des Filmemachens:
Viele Games heutzutage sind enorm teuer und benötigen auch gigantische Game-Engines und entsprechend große Teams, die sie entwickeln. Ich glaube aber nicht, dass das unbedingt notwendig ist, um ein Computerspiel zu produzieren, dass Spaß macht zu spielen. Ich vergleiche das gerne mit Filmproduktionen. Da produziert auch Hollywood jedes Jahr einen massiven Blockbuster, aber der ist nicht zwangsläufig unterhaltsamer als ein mit kleinem Budget gedrehter Independent-Film. Man denke da nur an 'Blair Witch Project' - diese kleinen Produktionen sind um nichts weniger aufregend und unterhaltsam.
Macht eure eigenen Computerspiele
Neben kleinen und innovativen Spiele-Schmieden wie Introversion gibt es auch eine steigende Zahl an oft kostenlosen Game-Baukästen in Software-Form, die es jedermann ermöglichen, eigene Computer-Spiele zu gestalten. Hieß es zu Punkzeiten: "Hier sind drei Akkorde, nun gründe eine Band!", so ließe sich jetzt proklamieren: "Hier sind die Tools und Programme, nun mach ein Computergame!"
Die Sex Pistols sehen das übrigens genau so. Sie sind vor kurzem ins Studio gegangen und haben ihr wohl bekanntesten Song "Anarchy in the UK" neu aufgenommen - für das Computerspiel "Guitar Hero 3".
Hör-Tipp
Matrix, Sonntag, 18. November 2007, 22:30 Uhr
Links
Introversion Software
Guitar Hero 3