Raimund Löw über die letzte Weltmacht USA

Einsame Weltmacht

Raimund Löw, langjähriger USA-Korrespondent des ORF, sieht die USA im Abseits. "Einsame Weltmacht" ist der Titel seines Buches. Ein Buch, das Mut macht, weil es einen starken Wunsch nach Veränderung in der amerikanischen Politik verortet.

Wolfgang Ritschl im Gespräch mit Raimund Löw

Ein evangelikaler General im Pentagon deutete den Krieg gegen den Terrorismus als Schlacht der Christenheit gegen Satan. Justizminister John Ashcroft fand die nackte Brust einer Justitia-Statue in seinem Ministerium so anstößig, dass er sie bedecken ließ. Und gar viele US-Politiker sehen hinter jedem weltlichen Ereignis in Politik und Wirtschaft die Hand Gottes im Spiel. Das sind die USA, die uns fremd geworden sind, die USA, mit denen wir in Europa nach Möglichkeit nichts zu tun haben wollen. Raimund Löw, langjähriger USA-Korrespondent des ORF, sieht die Dinge bedeutend differenzierter, wie er im "Kontext"-Gespräch mit Wolfgang Ritschl deutlich macht.

Wolfgang Ritschl: Von George W. Bush ist man in Europa ja weitgehend der Meinung, er wäre dumm. Hat sich dieser Eindruck für Sie im näheren Kontakt bestätigt?
Raimund Löw: Mir erscheint, das ist ein eher präpotentes europäisches Vorurteil. George W. Bush ist sicher kein Intellektueller, der Bücher schreibt - ich weiß nicht, wie viele europäische Spitzenpolitiker wirklich Intellektuelle sind -, George Bush ist ein Politiker, der volkstümlich sein will und sich in einer Art volkstümlich präsentiert, die politisch sehr erfolgreich war. Man wird nicht als jemand, der politisch unfähig ist, Gouverneur von Texas, man wird nicht zweimal als amerikanischer Präsident gewählt. Bush verfolgt eine politische Linie, die Amerika in eine furchtbare Krise geführt hat und zur einsamen Weltmacht gemacht hat. Das erscheint mir eine sehr spezifische Situation, dass die einzige wirklich existierende Weltmacht einsam ist, nämlich in der Weltöffentlichkeit skeptisch bis ablehnend beurteilt wird. Dafür trägt er politisch die Verantwortung, aber zu sagen, er ist intellektuell dumm, wie das in den europäischen Medien oft zu lesen ist, da steckt der Dünkel der Europäer dahinter, Amerika sei unkultiviert, die Amerikaner kennen sich nicht wirklich aus, und das sind Vorurteile, die stimmen alle nicht.

Für uns unverständlich ist, dass Terrorverdächtige als "illegale feindliche Kämpfer" festgenommen werden können, was ja bedeutet, dass sie keinem Richter vorgeführt werden und sich auch nicht verteidigen können. Dagegen gibt es aber wirksamen Widerstand und das loben Sie als positive Eigenschaft der USA.
Es hat eine große Diskussion gegeben und gibt sie nach wie vor in den USA, ob diese Maßnahmen, die unter dem Titel Antiterrormaßnahmen laufen, mit dem Rechtsstaat und den Menschenrechten vereinbar sind oder nicht, und da gibt es viele Hinweise, dass der Staat übers Ziel hinausgeschossen hat, dass da Maßnahmen gesetzt wurden, die eigentlich nicht rechtsstaatlich halten. Das amerikanische System ist sehr vielfältig, es gibt viele politische Entscheidungszentren, es gibt eine Gewaltentrennung, es gibt unterschiedliche Kulturen, und diese Vielfalt hat dazu geführt, dass es einen starken Mechanismus zur Selbstkorrektur gibt. Immer wieder in der amerikanischen Geschichte, wenn sich die politische Macht irgendwie verrannt hat in autoritäre Entwicklungen, hat dieser Mechanismus als Selbstkorrektur zugeschlagen und hat es ermöglicht, dass sich Amerika wieder erfängt und keine Diktatur ist, sondern eine Demokratie. Das sieht man auch jetzt, es gibt mehrere Urteile des Höchstgerichts, die dazu geführt haben, dass das Projekt Guantanamo nicht durchgeführt werden kann, wie sich das die Regierung Bush vorgestellt hat. Es gibt eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen gegen Antiterrormaßnahmen, Überwachungsmaßnahmen, in vielen Bereichen trotz eines massiven öffentlichen Drucks nach den Anschlägen des 11. September 2001 und trotz eines großen Drucks auch des Präsidenten und der Regierung. Diese Gewaltenteilung und diese Bereitschaft von Richtern - und auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen - Zivilcourage zu zeigen und gegen die politische Macht aufzustehen und sich nicht zu beugen, das ist etwas, was zur amerikanischen politischen Kultur gehört und das ist etwas sehr Positives.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Raimund Löw, "Einsame Weltmacht", Ecowin Verlag