Ödipus und das späte Familienglück

Beste Jahre

"Beste Jahre" handelt von der Ankunft im bürgerlichen Leben, denn der namenlos bleibende Protagonist ist dabei, eine neue Rolle einzuüben: die des Vaters. Als ein früherer Freund auf der Bildfläche erscheint, wird es allerdings turbulent.

"Ihm war das Dramatische in seinem Leben völlig abhanden gekommen." Diese Diagnose, gleich zu Beginn des Romans, lässt keinen Zweifel: Der Held, ein Mann, Anfang 40, von Beruf Schauspieler, ist ein Anti-Held, kein Abenteurer, kein Glücksritter, kein Hasardeur. Ein Mann mit einer, wie es heißt, "unglaublichen Begabung zur Normalität", der das Ausbleiben des Dramatischen, das Fehlen von Ehrgeiz und Unruhe nicht als Verlust, sondern als Gewinn empfindet.

"Er musste nicht mehr unbedingt mit dieser oder jener Frau schlafen und auch nicht länger seinen Vater umbringen", weiß der Erzähler in John von Düffels neuem Roman. "Beste Jahre", so sein Titel, handelt von der Ankunft im bürgerlichen Leben, im späten Familienglück, denn der namenlos bleibende Schauspieler und Roman-"Held" ist dabei, eine neue Rolle einzuüben: die des Vaters.

Die Truman-Show des Lebens

Es passiert nicht viel auf den ersten Seiten von John von Düffels Roman "Beste Jahre". Toastbrot am Morgen, Bühnenalltag am Abend, dazwischen begegnet der Protagonist mal einem homosexuellen Lateinlehrer, mal besucht er mit Lisa, seiner Lebensgefährtin, einen Gynäkologen. Das ist vielleicht das einzige Problem seiner aufregungslosen Daseins, der (wie er selbst sagt) "Truman-Show" seines Lebens: die Zeugung. Der Kindersegen nämlich ist auf die Hilfe der Reproduktionsmedizin angewiesen, auf künstliche Befruchtung, was Düffels Held, der in vielen Kapiteln des abwechselnd in der "Ich"- und der "Er"-Form geschriebenen Romans auch als Erzähler fungiert, offenbar als Makel empfindet - jedenfalls zum Anlass nimmt, sich über Fruchtbarkeitskliniken auszulassen und deren Kundschaft, die "Gehandicapten", die "Degenerierten", die "Nieten der Natur".

So kreist der Roman eine zeitlang vorwiegend um die Idiosynkrasien eines in seinem Erzeugerstolz Verletzten und Vaterschaftsgefühlen Blockierten - und nimmt erst dann Fahrt auf, als eine neue Figur die Szene betritt: Hans-Christian Meyerdierks, später nur noch HC genannt, früher einmal der beste Freund des Schauspielers. Ein Mann aus gutem Hause, der als Staatsanwalt Karriere machte. Doch die Wiedersehensfreude hält sich in Grenzen.

Der Weg des geringsten Widerstands
Das Auftauchen des Ex-Freundes löst bei John von Düffels Helden Argwohn und Unsicherheit aus. Eine Rückblende zeigt ihn am Beginn seiner Theaterkarriere in Stendal - und erinnert an die Begegnung mit einer Provinzschönheit namens Doreen. Der junge Mime versuchte damals, seine Schwärmerei in Worte zu fassen, ein Romanprojekt, an dem offenbar auch HC Gefallen fand. Doch es blieb unvollendet und damit genauso Episode wie Doreen selbst. "Ich hatte unsere Idee verraten und war den Weg des geringsten Widerstands gegangen", resümiert der Schauspieler, ohne zu verraten, was er denn meint mit dieser "Idee".

Der Schauspieler, der den Ex-Freund ausgerechnet beim Urologen wiedertrifft, ist sich sicher, dass dieser in einer ähnlichen Situation steckt wie er selbst. Auch er will die späte Vaterschaft erzwingen und bedarf dazu medizinischer Hilfe. Doch warum ist HC, der sonst so Spröde und Reservierte, auf einmal so interessiert und um Kontakt bemüht? Der Schauspieler wähnt sich in einem abgekarteten Spiel.

Ein Freundschaftsdienst
Erst spät begreift der "Held" die ihm zugedachte Rolle. HC gesteht, dass er unfruchtbar sei, dass er Prostatakrebs habe, dass er einen Samenspender für seine Frau suche und bittet den Schauspieler um meinen Freundschaftsdienst: Er soll mit seiner Frau schlafen. "Nie hätte ich gedacht, dass ich noch einmal so in Konflikt mit mir geraten könnte", erkennt der Schauspieler. "Doch das Drama war wieder da."

Er glaubt, HC diesen "Fertilisationsseitensprung" nicht verweigern zu können und sieht sich trotzdem nicht dazu imstande. HC aber ist hartnäckig, er bringt den anderen zu seiner Frau - es ist Doreen. Der Beischlaf mit der Frau des Freundes wird "ein Angriff auf ihn und seine ewige Überlegenheit". "Der innere Film, der mich antrieb, hieß nicht 'Doreen', sondern 'HCs Ende', es war die Geschichte einer Zerstörung".

Resümé
"Beste Jahre" von John von Düffel ist ein Roman mit einer Dramaturgie, die durchaus raffiniert ist und zunehmend Spannung erzeugt, die Ausführung aber bleibt einiges schuldig. Da ist eine Erzählweise, die zum übermäßigen Erklären und Räsonieren neigt, eine Sprache, die nicht frei ist von Gespreiztheiten, ein seltsames Hin- und Herspringen zwischen "Ich" und "Er", mit der dennoch keine entscheidende Perspektivenverschiebung gewonnen wird.

Und da ist ein "Held", ein betulicher Grübler, der zu wenig Sympathie entwickelt, dem letztlich eine Art Ödipus-Komplex, der wenig plausibel erscheint, zum Befreiungsschlag verhilft - wobei man sich fragt, wie ein Gegenspieler zur moralischen Herausforderung werden konnte, der vor allem ein Streber und Pragmatiker ist. So bleibt also zu guter letzt offen, warum es John von Düffel in den "Besten Jahren" im Grunde ging: um die Unsicherheit von Lebensentwürfen? Die Fragwürdigkeit eines Glücks, das sich durch das Abhandensein des Dramatischen definiert? Oder doch vor allem um die kalte Routine der Reproduktionsmedizin?

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
John von Düffel, "Beste Jahre", Dumont Verlag